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Ulrike Poppe (typocean): Warum Leipzigs kreativste Kapitänin auf Algen statt auf Rum setzt.

  • Gary Gullson
  • 23. Okt.
  • 17 Min. Lesezeit
Ulrike Poppe
Photo by Corinna Dumat


Barry Birdbrain

Von Gary Gullson


Hock dich her und nimm einen tiefen Schluck. Manchmal, wenn du denkst, du hast schon jeden Blödsinn gehört und jede Hoffnung im Beifang-Netz der Ignoranz zappeln sehen, spült die Gezeit etwas an Land, das dich die Augenbraue hochziehen lässt wie ein Segel im Sturm.


Diesmal ist es keine neue Pest aus Plastik, sondern eine Flaschenpost aus dem unwahrscheinlichsten aller Häfen: Leipzig. Ja, du hast richtig gelesen. In der gottverdammten sächsischen Pampa, wo das salzigste Wasser aus den Gürkchengläsern kommt, sitzt eine Frau namens Ulrike und brennt für den Ozean. Mehr als die meisten von uns, die jeden Tag auf ihn starren.


Sie ist keine Biologin, keine Kapitänin. Sie ist Buchgestalterin. Klingt trocken, ich weiß. Aber ihre Waffen sind nicht aus Stahl, sondern aus Papier, Tinte und Algen. Sie spricht von Orcas, als wären es ihre alten Crew-Kameraden, und von Nachhaltigkeit, als wäre es der einzige verdammte Schiffszwieback, der uns noch bleibt. Wir waren misstrauisch. Eine Landratte, die uns was vom Meer erzählen will? Aber verdammt, ihre Worte haben mehr Tiefgang als ein Blauwal beim Abendessen. Wir mussten wissen, was zum Klabautermann da los ist. Hier ist ihr Logbuch.



Logo Typocean


Welches ist dein Lieblingstier / Krafttier und warum?


Zurzeit begleitet mich der Blauwal immer öfter. Er strahlt für mich eine sanfte Ruhe und kraftvolle Gelassenheit aus, die ich mir gerade oft in meinem Alltag wünsche.

Als Lieblingstier würde ich aber eigentlich den Orca nennen. Orcas faszinieren mich schon seit meiner Kindheit, ohne dass ich genau erklären könnte, warum. Ich finde, es umgibt sie etwas Mystisches, Archaisches, und wenn man sich näher mit ihnen beschäftigt, kommt man aus dem Staunen nicht heraus. Orcas sind sehr soziale Wesen mit innigen Familienbindungen. Sie sind matriarchalisch organisiert und die Weibchen durchlaufen im Alter von ca. 40 Jahren eine Menopause, was im Tierreich sehr selten vorkommt. Danach können sie aber noch bis zu 90 Jahre alt werden und geben ihr Wissen und ihre Erfahrung an die junge Generation weiter.



Welches ist dein Lieblingszitat(e) an das du häufig denkst oder danach lebst?


„In der Ruhe liegt die Kraft.“



Welches Buch/Bücher sollte man unbedingt gelesen haben und warum?


Zum oberen Zitat passt ja "Momo" von Michael Ende ganz gut. Auf jeden Fall eines meiner Lieblingsbücher. Ich mag die Schildkröte Kassiopeia besonders, die, egal wie viel Zeit sie sich nimmt, immer an ihrem Ziel ankommt. Sie ist ein wunderbarer Gegenpol zur heutigen Schnelllebigkeit und wir können viel von ihr lernen.

Außerdem, ganz klar: „Was man von hier aus sehen kann“ von Mariana Leky.

Mariana Leky schafft es in ihren Büchern immer wieder, schwere Themen (wie hier zum Beispiel Trauer) in der Tiefe mit viel Weisheit zu betrachten und sie gleichzeitig mit einer gewissen Leichtigkeit zu versehen. Dabei beschreibt sie ihre Charaktere ganz liebevoll, authentisch und immer auch ein wenig skurril. So wie wir Menschen eben sind. Das Buch ist wirklich herzerwärmend, voller Witz und Charme und ich könnte es immer wieder lesen.



Was treibt dich in deinem Leben am meisten an?


Mein Drang nach Freiheit und Verbindung und in den letzten Jahren verstärkt die Rückverbindung zu unserer Natur. Ich habe erst letztens in der Doku „Ozeane“ von David Attenborough wieder schmerzlich begriffen, wie entkoppelt wir sind. Die Schleppnetzfischerei ist (auch in Deutschland) in Naturschutzgebieten erlaubt und teilweise sogar staatlich gefördert. Dabei hinterlässt sie eine Schneise der Verwüstung auf dem Meeresboden und einen Großteil der Ausbeute, den „Beifang“, schmeißt man einfach wieder ins Meer zurück. Unmengen an Meerestieren, die für nichts ihr Leben lassen müssen und einfach wie Abfall von Bord gefegt werden. Die Böden brauchen Jahre, um sich wieder zu erholen. Diese Art von Fischerei ist für niemanden gut, und ich frage mich, warum wir zu dumm sind, das zu verstehen. Es ist nur ein Beispiel von vielen dafür, dass wir sehenden Auges unsere eigene Lebensgrundlage zerstören. Und das kann ich mir nur damit erklären, dass wir aufgehört haben, uns als Teil der Natur zu begreifen.



Ulrike, seien wir ehrlich: Leipzig ist jetzt nicht gerade für seinen Zugang zum Pazifik bekannt. Wie zur Hölle (oder zum Meer) hast du in der sächsischen Karibik diese abgrundtiefe Leidenschaft für den Ozean und seine glitzernden, faszinierenden Bewohner – allen voran Wale und Delfine – entwickelt? Hast Du als Kind versehentlich Seewasser getrunken?


Haha, das stimmt. Leipzig ist zwar mittlerweile durchaus für seine vielen Gewässer in der Umgebung bekannt, das Meer sucht man hier aber vergeblich. Und genau das ist wahrscheinlich der Grund, warum ich mich gerade hier so intensiv damit auseinandersetze. Das Meer ist mein Sehnsuchtsort … Mich hat es schon immer zum Ozean hingezogen und nach einer längeren Reise durch Australien und Neuseeland fiel es mir sehr schwer, wieder in Leipzig anzukommen. Gleichzeitig lebe ich gerne in dieser Stadt und bin hier stark verwurzelt. Ein Umzug ans Meer kam bisher also nicht ernsthaft infrage. Nach ein paar Jahren Selbstständigkeit als Buchgestalterin und ohne spezifischen Meereshintergrund habe ich es dann nicht mehr ausgehalten und mir gesagt: „Wenn ich nicht zum Meer kann, dann hole ich das Meer eben zu mir!“. Nun darf ich mich über meine Illustrationen und Texte immer wieder mit den faszinierendsten Meereslebewesen beschäftigen, kann Aufmerksamkeit für diesen Lebensraum schaffen, der buchstäblich unsere Luft zum Atmen ist, und kann durch die Spenden an verschiedene Meeresschutzorganisationen etwas zum Schutz beitragen. Das macht mir Spaß und erfüllt mich sehr!



Du bist gelernte Buchgestalterin und Setzerin. Das klingt nach sehr akkuratem, trockenem Landleben. Wann genau kam Dir die (geniale!) Idee, zu liebevoll gestalteten Büchern mit einem besonderen Fokus auf Nachhaltigkeit und umweltschonenden Produktionsprozessen mit der Liebe zu … nun ja, feuchten, wilden Kreaturen zu verbinden? War es ein Geistesblitz unter der Dusche?


Ach, letztlich ist das ein fortwährender Prozess. Ich bin in den letzten Jahren immer öfter meiner Freude gefolgt und habe neben den Auftragsarbeiten für Verlage verschiedene eigene Projekte umgesetzt.

Dann war es die logische Schlussfolgerung, die Dinge, für die ich brenne, miteinander zu verbinden. Und ich bin ganz ehrlich, am Anfang konnte ich mir selbst noch gar nicht so richtig vorstellen, wie das alles zusammengehen und wohin es führen sollte. Ich habe aber gemerkt, dass die Tätigkeit als Buchgestalterin allein mir zwar Spaß macht, mich aber nicht komplett ausfüllt. Mittlerweile fühlt es sich sehr rund an und ich bewege mich sehr fluide zwischen beiden Welten und kann sie an bestimmten Stellen miteinander verknüpfen. Nämlich zum Beispiel dann, wenn es um die Auswahl von besonders schönen und nachhaltigen Materialien für meine Meeres-Produkte geht.



„typocean“ – der Name deines Labels, klingt wie ein Geheimclub für wasserscheue Schriftarten. Verrate uns doch bitte die (vermutlich sehr dramatische oder banale) Story hinter diesem fantastischen Namen und was er für Dich symbolisiert? Hat vielleicht der Buchstabe „T“ versucht, in ein Aquarium zu springen?


typocean ist eine Wortverbindung zwischen typography und ocean und steht für mich sinnbildlich dafür, diese beiden Themen – meine Berufung und meinen Sehnsuchtsort – in meiner Arbeit zusammenzubringen. Die Idee zu dem Labelnamen kam mir, bevor überhaupt klar war, dass es tatsächlich irgendwann einmal Meeres-Produkte von mir geben wird. In mir wuchs einfach der Wunsch, den Ozean in meinen Arbeitsalltag zu holen. Was von Anfang an klar war, ist, dass ich mit meinen freien Projekten Meeresschutzorganisationen unterstützen und auf deren Arbeit aufmerksam machen möchte. Alles Weitere ist dann über die Jahre Schritt für Schritt dazugekommen und mittlerweile habe ich neben meinen Aufträgen als Buchgestalterin ein Beratungsangebot für nachhaltige Print-Produktion und eine große Auswahl an Postkarten mit Meerestieren, Notizbüchern und Prints in meinem Online-Shop.




Der Papiermarkt ist in Bewegung. Viel Recycling und Upcycling. Hattest du schon mal Papier in der Hand, das war so nachhaltig, dass es schnell wieder ins Meer zurückwollte?


Vorweg sei gesagt: Nachhaltigkeit ist ein weites Feld. Allein die Auswahl des Materials für ein Produkt reicht nicht aus, um einer solch komplexen Fragestellung gerecht zu werden. Dafür ist die Betrachtung von ganz unterschiedlichen Faktoren und Zusammenhängen nötig. Und selbst wenn man sich nur auf die Auswahl des Materials beschränken möchte: Ein Recyclingpapier, welches für das eine Projekt perfekt passt, muss für ein anderes Projekt nicht zwingend die beste Lösung sein. Zudem gibt es sehr unterschiedliche Ansätze auf dem Papiermarkt, die m. E. nicht konkurrierend betrachtet werden sollten. Jedes hat seine Vor- und Nachteile.

Es gibt aber tatsächlich ein Upcyclingpapier, welches thematisch besonders gut zu meinen Produkten passt und gleichzeitig sehr hochwertig und schön ist. Dieses Papier habe ich für meine Notizbücher verwendet und es enthält Algenpartikel. Die Algen werden in Regionen abgebaut, in denen sie sonst als Plage das Ökosystem stören würden. Begonnen hat es in den 90er Jahren in den Lagunen von Venedig. Mittlerweile stellt die Papierfirma auch andere Upcyclingpapiere her, in denen Abfälle aus der Industrie verarbeitet werden (wie Kirsch- und Zitruskerne, Nussschalen und Baumwollstoffe).



Das erschaffen von hochwertigen, nachhaltigen, kunstvollen Büchern mit fantasievollen Meeres-Motiven und den dazugehörigen Papeterie-Produkten sind deine Leidenschaft, denn hier fließt alles zusammen. Es geht um Papier und Materialien, um Haptik und Bewegung und darum, wie all das in Verbindung mit Inhalt und Layout zu einem wundervoll runden Produkt wird. Riecht es dann auch „rund“? Und wie erzeugst du das Gefühl von Meereswellen oder sanften Strömungen allein durch Papier und Bindung? Musst du das Papier manchmal leicht schütteln? Fühlt sich Dein Papier an, als würde man durch Sand gleiten? Oder schwingen die Seiten leicht, als wären sie unter Wasser? Wir brauchen das sinnliche Erlebnis! detailverliebte (Buch-)Gestaltung, hochwertige Papeterie.


Bei meinen Produkten und auch bei meinen Auftragsarbeiten geht es mir darum, Materialien, Gestaltung und Herstellung ganz bewusst auszuwählen. Übergeordnet steht immer das Thema, beim Buch der Inhalt. Die Schrift kann noch so modern, das Papier noch so hochwertig, die Bindung noch so raffiniert sein – wenn es nicht zum Inhalt bzw. zum Thema passt, dann nützt es nichts und es wird kein rundes Produkt entstehen. Viele Menschen, mit denen ich zum Beispiel auf Märkten ins Gespräch komme, können solch eine Einheit fühlen, auch wenn sie nicht genau benennen können, woran es liegt. Manchmal sind es Kleinigkeiten, die zählen, zum Beispiel ein passendes Bild beim Umschlagen der Seite, welches die vorherige Geschichte fortführt. Oder für das Buch von Nora von wayra arts haben wir viele kleine Ameisen durch den Text krabbeln lassen, die immer wieder zum Innehalten anregen. Ich verstehe meine Aufgabe als Gestalterin darin, den Inhalt in ein passendes Gewand zu bringen. Das ist oft ganz subtil und selten so eindeutig wie beim „Algenpapier“. Gleichzeitig möchte ich Produkte gestalten, die langlebig sind und die zu Lieblingsstücken werden. Ich glaube daran, dass die Liebe und die Sorgfalt, die in meine Arbeit fließt, spürbar wird.



Deine Ocean-Notizbücher mit winzigen Algenpartikeln – das ist ja mal ein verrückt-geniales Detail! Wie kamen die Algen ins Spiel? Und wie sehr hüpft dein Herz, wenn Kunden dies wahrnehmen und was war bisher die lustigste Kundenreaktion, die du dazu bekommen hast? Was bedeutet es für Dich, dass Deine Notizbücher ein Stück Meer in sich tragen?


Es gibt tatsächlich bei vielen Menschen den Impuls, am Papier zu riechen, wenn sie erfahren, dass Algen darin verarbeitet sind. Aber ich kann euch beruhigen, das riecht man natürlich nicht. Dafür kann man die Algen sehen. In Form von kleinen, sandkornfarbenen Einschlüssen im Papier. Die Optik erinnert damit tatsächlich an einen Strand. Gleichzeitig ist es ein haptisch sehr ansprechendes Papier, auf dem man gut mit allen möglichen Stiften schreiben kann. Mit diesen Eigenschaften war das „Algenpapier“ schon ein ganz besonderer Fund für meine Ocean Journals.

Ich liebe es sehr, wenn Inhalt, Funktion, Optik und Material auf so eine wundervolle Art und Weise eine Einheit bilden, und kann immer wieder beobachten, mit wie viel Wertschätzung die Notizbücher in die Hand genommen werden. Da hüpft mein Herz :)



Manchmal kommen Ideen zu dir, die nichts mit Büchern zu tun haben. Wie dein Makramee-Buch (Makramee - Modernes Design im Vintage Look) welches du mit Marta Lothringer erschaffen hast und welches auf der Shortlist der ›Schönsten deutschen Bücher 2020‹ gelandet ist– das klingt wie ein goldener Anker! Was hat dieses Projekt für Dich bedeutet und was machte es aus Deiner Sicht so besonders?


Das Makramee-Buch mit Marta Lothringer war mein allererstes Projekt, das ich unter dem Label typocean veröffentlicht habe. Allein darum ist es für mich schon etwas ganz Besonderes – auch wenn es mittlerweile thematisch etwas aus der Reihe fällt. Damals war noch überhaupt nicht klar, wohin sich typocean entwickeln wird. Ich hatte nur den brennenden Wunsch, eigene (Buch-)Projekte zu verwirklichen, wollte mich von Auftraggebern lösen und eigene Entscheidungen treffen können, bezüglich der Gestaltung und Papierauswahl. Marta hatte in der Zeit das Konzept zum Buch schon in der Schublade und kurz zuvor die Zusammenarbeit mit einem Verlag abgelehnt, da die Konditionen für sie nicht stimmten. Ich denke immer wieder gern an diese intensive Zeit der Entstehung zurück. Wir hatten beide eine ähnliche Vorstellung davon, wie wir zusammenarbeiten wollen, und ein gleiches Verständnis von Verantwortung gegenüber unserer Umwelt. Letztlich haben wir das Buch in einem kleinen Kernteam von vier Frauen verwirklicht. Und auch wenn wir kurz vor der Druckdaten-Abgabe so einige Nachtschichten schieben mussten, haben wir schon in der Nacht der Abgabe von weiteren Projekten geträumt. Die Shortlist der Stiftung Buchkunst war dann natürlich noch die Kirsche auf der Torte, aber was am Ende wirklich bleibt, ist die tolle gemeinsame Erfahrung.




Und dann gibt es noch deine tollen Wal-Mobiles. Sind die einfach so aus dem Meer deines Unterbewusstseins aufgetaucht oder wie kam es dazu?


Auch bei den Wal-Mobiles hatte Marta ihre Finger im Spiel ;-) Sie hat zur Zeit der Buchentstehung parallel mit abstrakten Holz-Mobiles und Schmuck experimentiert. Dadurch konnte ich auf ihr Wissen bezüglich des Materials und der Herstellung zurückgreifen. Mit den Wal-Mobiles und meinen Holzquallen ist mir zum ersten Mal bewusst geworden, wie vielfältig meine Arbeit für typocean werden kann. Es gibt niemanden, der mich einschränkt, außer mir selbst. Und so kann ich für meine Ideen einfach losgehen, wenn ich Feuer gefangen habe.



Deine Produkte und Mission stehen für "zurück zu unserer Natur zu finden" und "mit ihr im Einklang zu leben und „Entschleunigung“. Kann man durch das Betrachten deiner wundervollen Werke entspannter werden – oder bekommt man eher Lust, stundenlang das Papier zu streicheln? Warum ist dir dieses Langsamer werden gerade im Zusammenhang mit Meer und Natur so superwichtig? Wie versuchst Du, diese Botschaft durch Deine Produkte zu vermitteln?


Ich glaube, dass Entschleunigung ein sehr entscheidender Aspekt ist, wenn wir an unsere Zukunft denken. In den letzten Jahrzehnten ging es vor allem um Wachstum, egal zu welchem Preis. Über die Ressourcen unserer Erde hinaus und auch über unsere eigenen. Wir sind nun an einem Punkt angelangt, wo unsere Ressourcen erschöpft sind. Ewiges Wachstum funktioniert nicht. Und auch wir sind zunehmend erschöpfter von der Schnelllebigkeit der heutigen Zeit. Hier können wir viel von der Natur lernen, denn sie funktioniert in Kreisläufen. Es gibt ein Wachstum, aber immer auch ein Loslassen und sich wieder Zurückziehen, wie wir es in unseren Breitengraden im Winter ganz deutlich erleben. Wir sind Teil der Natur, auch wir benötigen immer wieder Räume für Pausen und Rückzug.

Einerseits möchte ich mit meinen Meerestierprodukten auf die faszinierende Unterwasserwelt aufmerksam machen. Ich glaube daran, dass wir ein Bedürfnis entwickeln, uns um unsere Umwelt zu kümmern, wenn wir sie kennen und lieben lernen. Ich möchte zeigen, wie sehr wir alle von gesunden Ozeanen abhängig sind, auch wenn sie geografisch manchmal weit weg sind. Ein großer Teil des Sauerstoffs auf der Erde wird in den Ozeanen produziert.

Zudem möchte ich Produktionsprozesse erkunden, die abseits von dem altbekannten „höher, schneller, weiter“ stattfinden. Wo wir den Prozess als solchen wertschätzen und mit ganz viel Achtsamkeit Materialien auswählen und Zusammenarbeit gestalten. Das ist nicht immer so einfach, weil es im derzeit bestehenden kapitalistischen System nicht gefördert wird und nicht besonders „wirtschaftlich“ wirkt. Um solche Projekte gemeinsam zu gestalten, braucht es zunächst sehr viel Idealismus und Durchhaltevermögen. Man ist immer wieder versucht, den vermeintlich einfacheren, meist auch billigeren Weg zu gehen. Was verständlich ist, weil wir alle am Markt bestehen wollen und der hat nun einmal andere Spielregeln. Ich frage mich aber dann oft, wer zahlt sonst den Preis dafür? Auf längere Sicht habe ich die Erfahrung gemacht, dass es sich lohnt, durchzuhalten. Denn Sorgfalt spürt man.



Ein Teil Deiner Einnahmen schwimmt direkt in den Meeresschutz. Was hat Dich dazu bewogen, Deine hart verdienten Euro (oder Cent-Stückchen) abzugeben?


Ich liebe es, im und auf dem Meer zu sein, und aus dieser Liebe ist eine Dringlichkeit entstanden, etwas für den Schutz der Ozeane und seiner Bewohner zu tun. Die Meere sind überfischt, versauern durch Pestizide, ersticken in Plastikmüll und werden durch den Klimawandel immer wärmer. Was durch die Erwärmung passiert, können wir nur erahnen. Das schmerzt mich sehr. Und all diese Aspekte sind menschengemacht. Ich finde es unerträglich dabei zuzuschauen, wie so viele wundervolle Ökosysteme vor dem Kollaps stehen, große Meeressäuger vom Aussterben bedroht sind und wir uns zugleich unsere eigene Lebensgrundlage zerstören. Ich kann wirklich nicht begreifen, warum politisch nicht viel mehr für den Schutz der Lebensräume im Wasser und auch auf dem Land getan wird. Meine Spende ist sicher nur ein kleiner Beitrag. Ich stelle mir aber vor, wie es wäre, wenn alle Unternehmen, ob groß oder klein, oder auch Privatpersonen einen Beitrag leisten würden. Dadurch könnte man viel bewegen.



Wo findest du, fernab der Küste, Inspiration für all diese maritimen Wunder? Flüstern Sie dir die Fische aus dem Tiefkühlfach Ideen zu? Oder gibt es eine geheime Kammer voller Muscheln, die Dir Design-Briefings zuraunen?


Neben Büchern und Gesprächen mit meeresbegeisterten Menschen ist natürlich das Internet eine nie endende Quelle der Inspiration. Es gibt mittlerweile so gute Videos und Bilder von den unterschiedlichsten Lebewesen. Das ist gerade für eine detailverliebte Illustration sehr viel wert.



Papier ist Dir heilig. Was macht ein Material für Dich zum Helden des Tages? Hast Du einen geheimen Papyrus-Händler in Venedig? Erzähle uns doch bitte von Deiner (vermutlich epischen) Suche nach dem perfekten, nachhaltigen Material.


Durch meine Arbeit als Buchgestalterin habe ich Kontakt zu verschiedenen Papierfirmen und Papiergroßhändlern. Die wissen mittlerweile auch schon, dass ich vor allem nach Recycling- und Upcycling-Papieren suche und Papierhersteller bevorzuge, die einen besonderen Fokus auf Nachhaltigkeit legen. So bleibe ich immer auf dem neuesten Stand. Und wenn mir ein Papier gefällt, bleibt es im Hinterkopf, auch wenn ich vielleicht nicht sofort Verwendung dafür finde. Das Algenpapier habe ich zum Beispiel Jahre vor dem Einsatz für meine Notizbücher und vor der eigentlichen Gründung von typocean auf einer Messe entdeckt und mir war klar: Das möchte ich irgendwann einmal einsetzen.



Sei ehrlich, welches Deiner Werke (Produkte) ist Dein persönliches Herzenskind und warum? Keiner der anderen schaut gerade zu. Versprochen!


Das ist natürlich wirklich schwierig, weil ich kein Projekt umsetze, an das ich nicht wirklich glaube. Aber zurzeit bin ich wieder sehr begeistert von meinem Postkarten-Tischkalender. Es ist ein so schönes, hochwertiges Produkt, das ganz individuell und variabel gestaltet werden kann. Ich selbst finde es immer so schade, wenn man am Ende des Jahres einen Kalender einfach wegwirft. Deswegen habe ich mir einen Kalender ausgedacht, den man immer weiter verwenden kann. Die 12 Meerestier-Postkarten stehen in einem kleinen Holzständer und das Kalenderblatt getrennt davon daneben. So können die Postkarten im Laufe des Jahres verschickt und verschenkt werden. Im nächsten Jahr kann man das Kalenderblatt und die Postkarten einfach nachkaufen. Ganz neu habe ich auf die Rückseiten des Kalenderblatts Zitate gedruckt, so muss man selbst diese nicht einfach wegwerfen, sondern kann die Zitate verschenken, sie sich an den Spiegel hängen oder weiter auf dem Holzständerchen neben die Meerestiere stellen.




Gibt es ein Material oder eine Produktionstechnik, mit der Du unbedingt einmal rumexperimentieren möchtest? Träumst Du von Papier aus Kaffeefiltern und Seegras? Oder vielleicht Drucken mit biolumineszenter Tinte?


Ich möchte seit Jahren mit Linolschnitt experimentieren und dadurch mal wieder richtig analog drucken. Die Ausrüstung dafür ist bereits angeschafft, aber bisher fehlt die Zeit.



Welche Vision hast Du für die Zukunft von typocean? Gibt es neue Richtungen oder Projekte, die Du anstrebest?


Anfang des Jahres habe ich eine Ausbildung zur Sound Practitioner gemacht und übe seither ganz fleißig, auf meinen Kristallklangschalen zu spielen. Auf diese Weise kann ich Ruhe ganz spielerisch in meinen Alltag einladen. Meine Vision ist es, diese Klangwellen mit meinen Meerestieren und meiner grafischen Arbeit zu verbinden und dadurch die Entschleunigung, die ich selbst erfahre, auch nach außen zu tragen. Dazu gibt es schon einige Ideen in meinem Kopf. Ich bin selbst schon sehr gespannt, was ich davon in der kommenden Zeit in die Tat umsetze. :)



Welchen Rat würdest Du anderen Kreativen geben, die deine Arbeit ebenfalls mit einem tieferen Sinn oder einer Herzensangelegenheit verbinden möchten?


Findet euren eigenen Weg, folgt eurem Herzen und eurer Freude und lasst euch die Ideen dazu nicht ausreden, nur weil sie zunächst nicht wirtschaftlich erscheinen. Man muss dafür nicht All-In gehen und es darf Schritt für Schritt entstehen. Ich habe bis heute Auftragsarbeiten, die mir mein Grundeinkommen sichern und mich finanziell frei machen für meine eigenen kreativen Projekte. Gleichzeitig ist es wichtig, auf Pausen zu achten. Denn auch in einem Projekt, für das man brennt und das man gern macht, kann man ausbrennen, wenn man ständig über seine Grenzen geht.



Als jemand, der das Meer offenbar mehr liebt als manche Menschen ihre Haustiere: Was bereitete Dir aktuell die größten Sorgen um den Zustand dieser riesigen Salzwasserbadewanne unseres Planeten? Plastikmüll, der aussieht wie Quallen?


Ehrlich gesagt weiß ich gar nicht, wo ich da anfangen soll. Die Gesamtsituation ist besorgniserregend, da ja alles miteinander in Verbindung steht. Wir stehen kurz vor einigen Kipppunkten, die Forschende seit Jahren voraussagen, und wissen nicht, was danach passiert. Die Pole schmelzen schneller als vermutet, die Aufströmung im Golf von Panama ist in diesem Jahr fast völlig ausgeblieben. Gleichzeitig hilft es nicht, den Kopf in den Sand zu stecken. In der Dokumentation „Ocean“ von David Attenborough wird gezeigt, wie sich Ökosysteme im Meer, wenn man sie vollkommen unberührt lässt, schneller als gedacht wieder erholen können. Das hat mir auch Hoffnung gegeben. Um die Erde müssen wir uns im Grunde keine Sorgen machen, sie findet ihren Weg, die Frage ist eher, ob mit oder ohne uns Menschen. Daher ist die größte Sorge, die ich zurzeit habe, die Ignoranz und Gier der vielen rückwärtsgewandten Politiker, die gerade an der Macht sind. Leider auch in Deutschland. Diese weltweite politische Entwicklung raubt uns wertvolle Zeit.




Gibt es spezielle Meeresschutz-Themen oder Projekte, bei denen Du jedes Mal dicke Tränen vergießt (oder wütend auf den Tisch haust) und die Du gerne stärker unterstützen würdest, vielleicht sogar mit einer eigenen „Rettet die Miesmuschel“-Produktlinie?


Die allererste Organisation, die ich mit einer Patenschaft für die wilde Orca-Dame Current unterstützt habe, ist die Whale and Dolphin Conservation. Sie setzen sich unter anderem dafür ein, dass Wale und Delfine nicht in Gefangenschaft leben müssen. Vor vielen Jahren (noch vor der augenöffnenden Dokumentation „Blackfish“) war ich selbst in so einer Orca-Show im Loro Parque auf Teneriffa. Ich weiß noch, wie ich vorher Zweifel hatte, ob ich hingehen sollte. Durch die, wie ich heute weiß, pseudowissenschaftlichen Argumente vom Loro Parque, Neugier und Unwissen habe ich die Zweifel damals beiseitegeschoben. Ich habe aber schon während der Show gemerkt, dass es ein großer Fehler war. Es ging dort nicht darum, über die Meeressäuger aufzuklären, sondern nur um Profit und die Show. Das Publikum wurde immer wieder dazu aufgefordert zu grölen, zu klatschen und auf den Boden zu stampfen. Bei der Vorstellung, wie die Orcas und Delfine im Wasser diese Lautstärke wahrnehmen, ist mir buchstäblich das Herz gebrochen und ich habe die komplette Show lang geweint. Je mehr ich über diese intelligenten und sozialen Meereslebewesen erfahre, desto ungeheuerlicher empfinde ich es, dass wir sie, von ihren ursprünglichen Familien getrennt, in viel zu kleinen Tanks zu unserem Vergnügen vereinsamen lassen. Das geht mir wirklich an die Nieren.



Abgesehen von Walen und Delfinen, welches maritime Problem oder welche maritime Spezies liegt dir besonders am Herzen und inspiriert dich?


Was mich immer wieder sehr inspiriert, sind Symbiosen und Kooperationen, die zwischen Meereslebewesen bestehen. Angefangen bei Korallen, die ohne ihre Algen nicht bestehen könnten, über Putzerfisch-Stationen für Haie bis hin zu den Boxerkrabben, die kleine Seeanemonen pflegen, um sich im Falle eines Kampfes mit ihnen verteidigen zu können. Es gibt so viele witzige und kreative Zusammenschlüsse zu entdecken. Dabei wird mir immer wieder klar, wie wichtig jedes noch so kleine Lebewesen ist.



Wenn du einen Tag lang ein Meerestier sein könntest (neben Wal oder Delfin, das wäre ja zu einfach!), was wärst du und warum? Und wie würdest du deine typografischen Fähigkeiten einsetzen?


Ich würde sehr gern einmal in die Gestalt eines Oktopusses schlüpfen. Sie sind so anders als wir mit ihren drei Herzen und einem Gehirn, das sich bis in ihre Arme verästelt. Es wird aus Menschensicht ja schon viel spekuliert, wie das Bewusstsein eines Oktopus funktioniert. Wie nehmen sie ihre Umwelt wahr? Was schmecken sie? Wie wandeln sie ihre Farben und Gestalt so, dass sie sich komplett ihrem Untergrund anpassen können? Diese Fähigkeit würde ich natürlich nutzen, um ein paar Farbkreationen abzufeuern :)



Was wünschst Du dir für die Zukunft unserer Meere und die Beziehung der Menschen zu ihnen?


Die Frage beinhaltet eigentlich schon direkt die Antwort. Ich wünsche mir, dass wir Menschen überhaupt wieder in eine respektvolle Beziehung mit unseren Meeren und generell mit der Natur treten. Es ist wichtig, dass wir uns als Teil der Natur begreifen und uns nicht mehr über sie erheben und sie ausbeuten. Wir sollten sie genauso behandeln wie unseren liebsten Herzensmenschen.



Welchen Rat würdest du unserer jetzigen jungen Generation für den Einstieg in Ihr zukünftiges Leben geben? Welchen Rat sollten Sie ignorieren?


Uff, das ist eine sehr schwierige Frage, weil sich die Voraussetzungen für den Start ins Berufs- oder Erwachsenenleben in den letzten 10 – 20 Jahren so grundlegend verändert haben. Rückblickend konnte ich noch relativ unbedarft und angstfrei für meine Träume losgehen. Mit all der Unsicherheit und den Krisen heutzutage stelle ich mir das sehr schwer vor und möchte daher ungern einen Rat geben.


Aber vielleicht einen Gedanken: Ich glaube daran, dass wir eine (Arbeits-)Welt auf Grundlage von Kooperation und nicht von Konkurrenz aufbauen sollten. Wir alle können ganz individuelle Fähigkeiten in ein Projekt einbringen. Dafür ist es eine gute Idee, sich selbst und seine eigenen Stärken zu erforschen und gleichzeitig zu wissen, in welchen Bereichen man sich Unterstützung wünscht. Wir stehen vor so komplexen Herausforderungen, dass es wichtig sein wird, unsere Kräfte zu bündeln.



Herzlichen Dank!


So, das war's also. Hätte mir einer erzählt, dass eine der schärfsten Klingen im Kampf für den Ozean ausgerechnet in einem Leipziger Trockendock geschmiedet wird, ich hätte ihn wahrscheinlich über Bord geworfen.


Aber Ulrike ist der lebende Beweis, dass man kein Salzwasser riechen muss, um es im Blut zu haben. Sie kämpft nicht mit Harpunen, sondern mit Haptik. Nicht mit Gebrüll, sondern mit Gestaltung. Und verdammt, ihre Waffen sind präzise. Sie erinnert uns daran, dass die Schlacht für die Meere nicht nur auf den verdammten Konferenztischen oder in den Maschinenräumen der Trawler entschieden wird, sondern auch im Herzen – und zwischen den Seiten eines verdammt guten Notizbuchs.


Danke, Ulrike. Dafür, dass du ein Leuchtfeuer an einem Ort entzündet hast, an dem wir nur Nebel erwartet hätten. Bleib auf Kurs.



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Website typocean: https://typocean.de/



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