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Deep Dive Serie: Plastik-Apokalypse Now? Was zum Teufel in unseren Ozeanen schwimmt (Teil 3)

  • Patricia Plunder
  • 1. Jan.
  • 8 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 6. Aug.

Toter Basstölpel

Von Patricia Plunder


Aye, aye, du unerschrockener Tiefseetaucher der Wahrheit! Die Möwen-Crew meldet sich von der Front des ökologischen Wahnsinns. In Teil 1 haben wir die Mär von der "Müllinsel" entlarvt und in Teil 2 die schmierigen Kanäle aufgedeckt, durch die unser Plastikmüll in die Ozeane gelangt. Jetzt wird’s ernst, richtig ernst. Wir schnallen die Mikroskope auf die Taucherbrillen und leuchten in die dunkelsten Ecken des Desasters: Was richtet dieser ganze Plastik-Rotz eigentlich mit den unschuldigen Bewohnern unserer Meere an? Halte dich fest, das wird kein Kindergeburtstag.



Teil 3: Ersticken, Verhungern, Vergiften – Das stille Sterben im Plastikmeer


Hallo wissensdurstige Seele,


wenn du bis hierhin durchgehalten hast, Hut ab! Denn jetzt wird’s ungemütlich. Wir reden nicht mehr nur über abstrakte Müllmengen oder Strömungsdynamiken. Wir reden über Leben und Tod. Über das Leid von Millionen, ja Milliarden von Meereskreaturen, die mit unserem Plastikmüll konfrontiert werden – einem Feind, den sie nicht verstehen und dem sie oft hilflos ausgeliefert sind.


Der Ozean ist kein unendlicher Mülleimer, der alles schluckt und verschwinden lässt. Er ist ein lebendiges System, und unser Plastik wirkt darin wie ein heimtückisches Gift und eine tödliche Falle – oft gleichzeitig.

Die Auswirkungen von Plastikmüll auf marine Ökosysteme sind so vielfältig wie der Müll selbst. Wir können sie grob in drei grausame Kategorien einteilen: die mechanischen Gefahren (Verschlucken und Verheddern), die chemische Verseuchung und die Zerstörung von Lebensräumen. Lass uns das mal genauer unter die Lupe nehmen, auch wenn der Anblick nicht schön ist.



1. Der große Gulp und die tödliche Umarmung: Mechanische Gefahren


Das ist wohl die offensichtlichste und oft auch medial präsenteste Gefahr: Tiere fressen Plastik oder verfangen sich darin.


  • Verschlucken (Ingestion):Viele Meerestiere sind nicht gerade Gourmets mit feinem Gaumen. Sie verlassen sich auf Form, Farbe oder Geruch, um Nahrung zu identifizieren. Und Plastik kann verdammt gut darin sein, Futter zu imitieren. Stell dir einen Albatros vor, einer der majestätischsten Segler der Lüfte, der tausende Kilometer über dem offenen Meer zurücklegt. Er späht nach Tintenfischen oder Fischeiern an der Oberfläche. Was er stattdessen oft findet und an seine Küken verfüttert: Feuerzeuge, Flaschendeckel, bunte Plastiksplitter. Die Mägen dieser Vögel – und ihrer Jungen – sind oft vollgestopft mit unverdaulichem Plastik. Das Ergebnis: ein falsches Sättigungsgefühl, Unterernährung, innere Verletzungen, Verstopfung und letztendlich der qualvolle Hungertod, obwohl der Bauch voll ist. Studien haben gezeigt, dass bis zu 90% aller Seevögel Plastik im Magen haben. Eine schockierende Zahl, die bis 2050 auf nahezu 99% ansteigen könnte, wenn wir so weitermachen.

    Meeresschildkröten haben ein ähnliches Problem. Für sie sehen treibende Plastiktüten oft aus wie ihre Leibspeise: Quallen. Einmal verschluckt, kann die Tüte den Verdauungstrakt blockieren oder zu einem langsamen Ersticken führen. Man schätzt, dass über die Hälfte aller Meeresschildkröten weltweit Plastik gefressen hat. Und dann sind da die Wale. Bartenwale, die riesige Mengen Wasser filtern, um Krill und andere kleine Organismen zu fangen, nehmen dabei unweigerlich auch Mikroplastik und größere Plastikteile auf. Immer wieder stranden Wale mit Mägen voller Plastikmüll – Kiloweise Tüten, Seile, Verpackungen. Ein trauriges Beispiel war der junge Cuvier-Schnabelwal, der 2019 auf den Philippinen mit 40 Kilogramm Plastik im Magen gefunden wurde. Solche Fälle sind keine Seltenheit mehr. Aber es sind nicht nur die großen, charismatischen Tiere. Fische aller Größen, Krebstiere, Muscheln, ja sogar winziges Zooplankton – die Basis der marinen Nahrungskette – nehmen Mikroplastik auf. Diese Partikel sind oft so klein, dass sie mit Plankton verwechselt werden. Was das für die gesamte Nahrungskette bedeutet, dazu kommen wir gleich.


Für viele Meerestiere ist unser Plastikmüll ein Trojanisches Pferd: Es sieht aus wie Futter, bringt aber den Tod.

Toter Albatros
Abbildung 1: Toter Laysanalbatros, mit Plastik im Magen, Hawaii

  • Verheddern (Entanglement): Die zweite große mechanische Gefahr lauert in Form von herrenlosen Fischernetzen (Geisternetzen), Leinen, Verpackungsbändern oder den berüchtigten Sixpack-Ringen (obwohl die modernen oft abbaubarer oder anders designt sind, gibt es noch Altbestände).Geisternetze, die wir in Teil 2 schon als Hauptverursacher der Masse im Great Pacific Garbage Patch identifiziert haben, sind besonders perfide. Sie treiben oft jahrzehntelang durch die Ozeane und "fischen" weiter. Delfine, Wale, Robben, Schildkröten, Seevögel und Fische verfangen sich darin. Entweder ertrinken sie sofort, weil sie nicht mehr zum Atmen an die Oberfläche kommen, oder sie erleiden schwere Verletzungen durch die einschneidenden Leinen, verhungern, weil sie nicht mehr jagen können, oder werden leichte Beute für Raubtiere. Schätzungen zufolge sterben jährlich Hunderttausende Meeressäuger und Seevögel auf diese Weise. (Genaue Zahlen sind schwer zu erheben, aber Organisationen wie World Animal Protection nennen Zahlen in dieser Größenordnung basierend auf verschiedenen Studien). Aber auch kleinere Plastikteile können zur Falle werden. Vögel, die Nistmaterial suchen, verweben Plastikfäden in ihre Nester, in denen sich dann die Küken verheddern. Fische und Krebse können in offenen Plastikbehältern gefangen werden.


Verheddert in unserem Müll kämpfen sie einen aussichtslosen Kampf gegen ein unsichtbares Monster, das wir erschaffen haben.

Seehund aus verheddertem Geisternetz gerettet


2. Der toxische Cocktail: Chemische Verseuchung


Plastik ist nicht nur ein mechanisches Problem. Es ist auch eine chemische Zeitbombe. Und hier wird es besonders heimtückisch, weil die Gefahren oft unsichtbar sind.


  • Auslaugende Zusatzstoffe: Plastik ist selten reines Polymer. Um ihm bestimmte Eigenschaften zu verleihen (Flexibilität, Farbe, UV-Beständigkeit, Brandschutz), werden ihm bei der Herstellung zahlreiche Chemikalien zugesetzt: Weichmacher (z.B. Phthalate), Bisphenol A (BPA), Flammschutzmittel und viele mehr. Viele dieser Substanzen sind bekannt dafür, hormonell wirksam zu sein, krebserregend oder anderweitig gesundheitsschädlich. Im Meer können diese Stoffe langsam aus dem Plastik ausgelaugt werden und das umgebende Wasser kontaminieren. Tiere, die in der Nähe leben oder das Plastik verschlucken, nehmen diese Chemikalien direkt auf.

  • Der Schadstoff-Magnet: Fast noch problematischer: Plastikoberflächen im Meer wirken wie kleine Magneten oder Schwämme für bereits im Wasser vorhandene, schwer abbaubare organische Schadstoffe (POPs – Persistent Organic Pollutants). Dazu gehören Pestizide wie DDT, Industriechemikalien wie PCBs (polychlorierte Biphenyle) und andere fiese Sachen, die wir schon vor Jahrzehnten in die Umwelt entlassen haben und die immer noch da sind. Diese Schadstoffe haften sich an die Oberfläche von Mikroplastikpartikeln an und können dort Konzentrationen erreichen, die millionenfach höher sind als im umgebenden Wasser.

  • Bioakkumulation und Biomagnifikation: Wenn nun ein kleines Zooplankton dieses mit Gift beladene Mikroplastik frisst, gelangen die Schadstoffe in seinen Körper (Bioakkumulation). Ein kleiner Fisch frisst viele dieser Zooplankter und reichert die Gifte weiter in seinem Gewebe an. Ein größerer Raubfisch frisst viele kleine Fische. Und so weiter, die Nahrungskette hinauf. Mit jeder Stufe nimmt die Konzentration der Schadstoffe im Fettgewebe der Tiere zu (Biomagnifikation). Am Ende dieser Nahrungskette stehen oft Top-Prädatoren wie Thunfische, Schwertfische, Haie, Delfine, Robben – und ja, auch wir Menschen, wenn wir kontaminierten Fisch essen.Die Folgen für die Tiere können vielfältig sein: Fortpflanzungsstörungen, Leberschäden, Immunschwäche, Verhaltensänderungen, erhöhte Anfälligkeit für Krankheiten.


    Bioakkumulation
    Schematische Darstellung der Bioakkumulation

Mikroplastik ist wie ein vergifteter Kurierdienst, der Schadstoffe direkt in die marine Nahrungskette liefert – mit uns als potenziellen Endempfängern.


3. Verlust und Veränderung: Zerstörung von Lebensräumen


Neben den direkten Auswirkungen auf einzelne Tiere verändert Plastikmüll auch ganze Lebensräume.


  • Smothering (Ersticken) von Lebensräumen: Am Meeresboden können sich Plastikmüll, insbesondere Tüten und Folien, wie eine Decke über empfindliche Habitate legen, z.B. Korallenriffe, Seegraswiesen oder Muschelbänke. Das blockiert Licht und Sauerstoffaustausch, was zum Absterben der darunterliegenden Organismen führt. Eine Studie im asiatisch-pazifischen Raum ergab, dass die Wahrscheinlichkeit, dass Korallen von Krankheiten befallen sind, von 4% auf 89% steigt, wenn sie mit Plastik in Kontakt kommen. Das Plastik verletzt die empfindlichen Polypen und bietet gleichzeitig einen Nährboden für schädliche Mikroben.

  • Künstliche "Riffe" und invasive Arten: Treibende Plastikteile bieten eine neue Art von "Hartsubstrat" im offenen Ozean. Organismen, die normalerweise nur an Küsten oder am Meeresboden leben, können sich auf diesen Plastikflößen ansiedeln und über weite Strecken transportiert werden. Das kann zur Verbreitung von invasiven Arten in neue Regionen führen, wo sie heimische Arten verdrängen und das ökologische Gleichgewicht stören können.

  • Veränderung der chemischen und physikalischen Bedingungen: Die schiere Menge an Plastik kann die chemische Zusammensetzung des Wassers und des Sediments verändern. Der langsame Zerfall von Plastik setzt nicht nur Chemikalien frei, sondern verändert auch die physikalischen Eigenschaften des Meeresbodens. Die Langzeitfolgen dieser subtilen Veränderungen sind oft noch gar nicht absehbar.


Plastikmüll auf dem Meeresboden
Verschiedene Plastikabfälle auf dem Meeresboden

Die Liste der Schreckensmeldungen ist lang, und die Forschung deckt ständig neue, beunruhigende Details auf. Was wir sehen, ist wahrscheinlich nur die Spitze des Eisbergs, oder besser gesagt, des Plastikbergs. Das stille Sterben in den Ozeanen ist real, und es wird durch unsere Wegwerfgesellschaft befeuert.


Jedes Stück Plastik im Meer ist ein potenzieller Sargnagel für ein Lebewesen oder ein Baustein im Fundament einer ökologischen Katastrophe.

Das war ein harter Brocken, ich weiß. Aber es ist wichtig, diese Realitäten zu kennen. Nicht um zu resignieren, sondern um die Dringlichkeit zu verstehen. Denn nur wenn wir das Ausmaß des Problems wirklich begreifen – das Ersticken, das Verhungern, das Vergiften – können wir die Motivation aufbringen, nach echten Lösungen zu suchen und diese auch umzusetzen.


Und genau darum wird es im vierten und letzten Teil dieser Serie gehen: Was zum Teufel können wir tun? Gibt es Hoffnungsschimmer am Horizont? Welche Ansätze gibt es, um die Plastikflut einzudämmen und unsere Ozeane zu retten?



Fazit Teil 3: Ein Ozean voller Leid – Unser Plastik als Waffe und Gift


Puh, das war harter Tobak, was? Aber es musste raus: Unser Plastikmüll ist nicht nur ein ästhetisches Problem, er ist eine tödliche Bedrohung für unzählige Meeresbewohner. Wir haben gesehen, wie Tiere Plastikteile mit Nahrung verwechseln und mit vollem Magen verhungern, wie sie sich in Geisternetzen verfangen und qualvoll ertrinken oder verstümmelt werden. Von Seevögeln, deren Mägen zu 90% mit Plastik gefüllt sind, über Schildkröten, die Plastiktüten für Quallen halten, bis hin zu Walen, die kiloweise Plastikschrott in sich tragen – das Leid ist unermesslich. Und als wäre das nicht genug, wirkt Plastik auch noch als chemische Zeitbombe: Auslaugende Zusatzstoffe und die Anreicherung von Umweltgiften an Mikroplastik verseuchen die Nahrungskette von der kleinsten Planktonart bis hin zum Top-Prädator – und potenziell bis auf unseren eigenen Teller. Lebensräume wie Korallenriffe ersticken unter Plastikdecken. Es ist ein stilles, aber brutales Sterben, das wir verursachen. Die Frage ist nun: Lassen wir das so weiterlaufen oder reißen wir das Ruder rum? Im letzten Teil dieser Serie schauen wir, ob es Hoffnung gibt und was wir konkret tun können. Denn Aufgeben ist keine Option für die Möwen-Crew!


Bleib dran, auch wenn's wehtut. Denn der Krawall gegen die Ignoranz braucht jeden einzelnen.


Deine Möwen-Crew.



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Quellen:

  • Wilcox et al., PNAS, 2015

  • Schuyler et al., Global Change Biology, 2015

  • Mato et al., Environmental Science & Technology, 2001

  • Lamb et al., Science, 2018



Klartext braucht eine starke Crew.

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Bildquellen:

Abbildung 1: Forest & Kim Starr, CC BY 3.0 US <https://creativecommons.org/licenses/by/3.0/us/deed.en>, via Wikimedia Commons

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