top of page

Deep Dive Serie: Plastik-Apokalypse Now? Was zum Teufel in unseren Ozeanen schwimmt (Teil 1)

  • Patricia Plunder
  • 1. Jan.
  • 8 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 6. Aug.

Walflosse im Müll

Von Patricia Plunder


Moin Meeres-Enthusiast, Problem-Bewältiger, Weltretter-in-spe oder einfach nur neugierige Seele!


Du bist hier bei der Ocean Tribune gelandet, dem Magazin, das Klartext redet, auch wenn's wehtut. Und heute, liebe Butterblume, tun wir etwas, das wehtut: Wir schauen uns einen der größten Schandflecken unseres blauen Planeten genauer an. Die Rede ist von den berühmt-berüchtigten "Great Pacific Garbage Patches" und ihren unappetitlichen Geschwistern in anderen Ozeanen. Plastikstrudel. Müllteppiche. Plastiksuppe.


Schon die Namen klingen, als hätte sich jemand einen ziemlich schlechten Sci-Fi-Film ausgedacht, oder? Eine riesige, schwimmende Insel aus Plastikmüll, mitten im Pazifik. Man stellt sich fast vor, wie man darauf landen, ein Zelt aufschlagen und eine neue, wenn auch ziemlich toxische Zivilisation gründen könnte. Hollywood hat uns da über die Jahre ein Bild in den Kopf gepflanzt, das ... nun ja, sagen wir mal: kreativ ist.



Teil 1: Die große Illusion – Warum die 'Müllinsel' keine Insel ist (und trotzdem die Plastik-Hölle)


Vergiss das Bild einer festen Müll-Insel, auf der du picknicken könntest (würg!). Die Realität ist subtiler, heimtückischer und vielleicht sogar noch schlimmer.

Ja, du hast richtig gehört. Die erste bittere Pille, die wir heute schlucken müssen: Diese "Müllinseln" sind keine Inseln. Nicht im eigentlichen Sinne. Du kannst nicht darauf herumlaufen. Du siehst sie meistens nicht mal vom Flugzeug oder Satelliten aus. Das ist Teil des Problems, Teil der großen Illusion, die uns glauben lässt, es sei vielleicht alles halb so wild.


Aber was ist es dann? Was zum Klabautermann schwimmt da draußen, wenn nicht eine gigantische Plastik-Landmasse?


Stell dir vor, du kochst eine riesige Suppe. Eine wirklich, wirklich riesige Suppe, so groß wie ... sagen wir mal, halb Europa. Und in diese Suppe wirfst du alles rein, was irgendwie aus Plastik ist: Flaschen, Tüten, Zahnbürsten, Fischernetze, Spielzeug, winzige Plastikkügelchen, die aussehen wie Fischeier, und Millionen über Millionen von winzigen, kaum sichtbaren Plastikfragmenten. Das alles rührst du gut um. Und dann lässt du die Suppe jahrelang vor sich hin köcheln, unter der gnadenlosen Sonne, im salzigen Wasser, von Wellen und Strömungen zermahlen.


Das, mein lieber Freund, ist eine bessere Analogie für den Great Pacific Garbage Patch (GPGP) und seine Artgenossen. Es ist keine feste Insel, sondern eine gigantische Ansammlung von Plastikmüll, der in den oberen Wasserschichten schwebt. Die Konzentration ist in diesen Gebieten massiv höher als im Rest des Ozeans, aber der Großteil davon ist eben nicht die riesige Plastikflasche oder der verlorene Gummistiefel.


Müllstrudel schematisch
Schematische Darstellung eines Ozeanwirbels (Gyre)

Der Hauptdarsteller in diesem traurigen Schauspiel ist: Mikroplastik. Winzige Plastikpartikel, kleiner als 5 Millimeter. Oft sind sie mit bloßem Auge kaum zu erkennen. Sie entstehen, wenn größere Plastikteile durch UV-Strahlung, Wellen und Salzwasser über Jahre und Jahrzehnte zerfallen und zermahlen werden. Sie brechen in immer kleinere Stücke, verschwinden aber nie wirklich. Plastik verrottet nicht wie ein Apfelbutzen. Es zerfällt in Mikro- und dann Nanoplastik, bleibt aber als künstlicher Fremdkörper im System.


Das Zeug löst sich nicht in Wohlgefallen auf. Es wird nur kleiner, unsichtbarer und damit noch schwieriger zu fassen – und gefährlicher für die Meeresbewohner.

Natürlich gibt es auch größere Teile. Der GPGP, der bekannteste dieser Strudel, liegt im Nordpazifik, grob zwischen Hawaii und Kalifornien. Seine genaue Größe ist schwer zu bestimmen, weil die Ränder diffus sind und die Konzentration schwankt. Aber Schätzungen gehen von einer Fläche aus, die erschreckend riesig ist. Die Organisation "The Ocean Cleanup", die sich der Bekämpfung des Problems verschrieben hat, schätzte die Fläche 2018 auf 1,6 Millionen Quadratkilometer. Das ist etwa viereinhalb Mal so groß wie Deutschland. Oder dreimal so groß wie Frankreich. Lass das mal sacken. Eine Suppe aus Plastikmüll, viereinhalb Mal so groß wie Deutschland.


Und was schwimmt da nun genau drin? Die Zusammensetzung ist ein grausiger Cocktail unseres modernen Lebensstils:

Laut der erwähnten Studie von The Ocean Cleanup besteht der Großteil der Masse im Kernbereich des GPGP (fast die Hälfte!) aus verlorenen oder absichtlich über Bord geworfenen Fischereigeräten, sogenannten Geisternetzen, sowie Seilen und Kisten. Das ist eine unbequeme Wahrheit, die oft untergeht, wenn wir nur an unsere eigenen Plastikflaschen und Strohhalme denken. Die Fischereiindustrie trägt hier eine massive Mitverantwortung.


Ein Pottwal ist durch ein Geisternetz in Lebensgefahr

Aber natürlich ist da auch unser alltäglicher Müll: Hartplastikteile von Verpackungen, Flaschendeckel, Kanister, Bojen, und eben Unmengen an Fragmenten, die nicht mehr zuzuordnen sind. Und dann das Mikroplastik. Obwohl es "nur" etwa 8% der Gesamtmasse ausmacht, stellt es schätzungsweise über 90% der einzelnen Plastikteile dar, die dort schwimmen. Milliarden und Abermilliarden kleiner Partikel.


Es ist eine toxische Brühe aus Geisternetzen, Alltagsmüll und Abermilliarden unsichtbarer Plastik-Krümel – ein widerliches Denkmal unserer Wegwerfgesellschaft.

Wie kommt dieser ganze Mist überhaupt dorthin? Nun, das ist ein Thema für sich, das wir in Teil 2 dieser Serie genauer unter die Lupe nehmen werden ("Die Plastik-Pipeline: Wie unser Müll zur Hochsee-Kreuzfahrt antritt"). Aber kurz gesagt: Es beginnt an Land. Müll, der achtlos weggeworfen wird, von Flüssen ins Meer gespült wird, oder direkt von Schiffen stammt. Einmal im Ozean, wird er von den großen Meeresströmungen erfasst.


Stell dir die Ozeane nicht als stehende Badewanne vor, sondern als ein System riesiger, rotierender Strömungen, angetrieben von Winden und der Erdrotation. Es gibt fünf große Hauptströmungssysteme, sogenannte Gyres (ausgesprochen: Dschai-ers), auf der Welt: im Nord- und Südpazifik, im Nord- und Südatlantik und im Indischen Ozean. Diese Gyres wirken wie gigantische kosmische Rührschüsseln. In ihrer Mitte sind die Strömungen relativ schwach. Alles, was leichter als Wasser ist und lange genug im Ozean treibt – wie eben Plastik –, wird über Jahre und Jahrzehnte langsam in diese Zentren transportiert und sammelt sich dort an.


Müllstrudel weltweit
Die 5 größten Gyre

Der GPGP im Nordpazifik ist der größte und bekannteste, aber er ist nicht allein. Auch im Südpazifik, im Nordatlantik und im Indischen Ozean gibt es ähnliche, wenn auch meist kleinere oder weniger erforschte Ansammlungen. Es ist ein globales Problem.


Die "Entdeckung" des GPGP wird oft dem amerikanischen Skipper Charles Moore zugeschrieben, der 1997 auf dem Rückweg von einem Segelrennen durch dieses Gebiet fuhr und tagelang durch einen Ozean voller Plastikmüll navigierte. Aber er hat es nicht "entdeckt" im Sinne von Columbus. Ozeanografen hatten die Existenz solcher Konvergenzzonen schon lange vorhergesagt. Moore war einer der ersten, der die erschreckende Menge an Plastik dokumentierte und die Öffentlichkeit darauf aufmerksam machte. Seitdem ist das Bewusstsein gewachsen, aber die Menge an Plastik leider auch.


Charles Moore hat keine neue Insel entdeckt, er hat uns den Spiegel vorgehalten – einen verdammten Ozean voller Spiegel-Scherben unseres eigenen Konsumwahns.

Warum ist das nun so schlimm, wenn es doch keine feste Insel ist? Warum sollten wir uns über diese trübe Suppe Sorgen machen, die weit weg auf dem offenen Meer schwimmt?

Nun, zum einen ist "weit weg" relativ. Die Ozeane sind miteinander verbunden. Was dort passiert, hat Auswirkungen auf das gesamte Ökosystem. Zum anderen ist gerade die "Suppen"-Natur das Problem.


  • Gefahr für Meereslebewesen: Tiere verwechseln Plastikteile mit Nahrung. Seevögel füttern ihre Küken mit Plastikmüll, weil sie ihn für Tintenfisch oder Krill halten. Schildkröten fressen Plastiktüten, weil sie wie Quallen aussehen. Fische verschlucken Mikroplastik. Die Folgen: Verhungern mit vollem Magen, innere Verletzungen, Blockaden des Verdauungstrakts. Größere Tiere wie Wale, Delfine und Robben verfangen sich in Geisternetzen und ertrinken qualvoll. Das ist kein schöner Anblick, aber es ist die Realität da draußen. Über die genauen Auswirkungen auf Tiere und die Nahrungskette sprechen wir ausführlich in Teil 3 ("Ersticken, Verhungern, Vergiften: Das stille Sterben im Plastikmeer").

  • Toxische Zeitbomben: Plastik ist nicht nur mechanisch gefährlich. Es enthält oft Zusatzstoffe (Weichmacher, Flammschutzmittel etc.), die ins Wasser abgegeben werden können. Schlimmer noch: Plastikpartikel wirken im Meer wie Magneten für andere Schadstoffe, die bereits im Wasser sind (z.B. Pestizide, Industriechemikalien). Sie reichern diese Gifte an ihrer Oberfläche an. Wenn Tiere dieses Plastik fressen, nehmen sie auch die konzentrierten Giftstoffe auf. Und wer steht oft am Ende der Nahrungskette? Richtig. Wir. Ein Hoch auf den vergifteten Fisch auf unserem Teller!

  • Ökosystem-Veränderung: Die schiere Menge an Plastik verändert Lebensräume. Es bietet künstliche Oberflächen, auf denen sich Organismen ansiedeln können, die dort normalerweise nicht vorkommen. Es blockiert Sonnenlicht für Algen und Plankton in den oberen Wasserschichten. Es verändert die Chemie des Wassers. Die Langzeitfolgen für das gesamte ozeanische Gleichgewicht sind noch gar nicht vollständig absehbar.


Schäden an Lebewesen durch Plastik

Die Illusion der "Müllinsel" ist also bequem, aber falsch. Die Realität der "Plastiksuppe" ist viel komplexer und durchdringt das Ökosystem auf heimtückische Weise. Sie ist nicht einfach eine Müllkippe, die man einzäunen und vergessen könnte. Sie ist ein Symptom einer globalen Krankheit: unserer unkontrollierten Plastikflut und unseres mangelnden Respekts vor dem größten und wichtigsten Lebensraum unseres Planeten.


Es ist keine Insel, die wir erobern oder ignorieren könnten. Es ist eine Seuche, die den Ozean durchdringt und letztlich auf uns selbst zurückfällt.

Das war der erste Tauchgang in die trüben Gewässer der Plastik-Apokalypse. Ernüchternd? Ja. Wichtig? Absolut. Denn nur wenn wir verstehen, was da draußen wirklich los ist, können wir anfangen, etwas dagegen zu tun.


Im nächsten Teil schauen wir uns genauer an, wie der ganze Müll überhaupt in die Ozeane gelangt. Woher kommt das Zeug? Wer sind die Hauptverursacher? Und warum zum Teufel kriegen wir das nicht in den Griff? Bleib dran, es wird nicht weniger brisant.



Fazit für Teil 1: Die bittere Wahrheit hinter dem Hochglanz-Horror


So, jetzt mal Butter bei die Fische, oder besser gesagt, Plastik aus der Suppe: Die "große Müllinsel" ist eine bequeme, aber falsche Vorstellung. Was da draußen im Pazifik und anderswo wabert, ist keine feste Landmasse, auf der man Robinson Crusoe mit einer Plastikflaschen-Hütte spielen könnte. Es ist eine gigantische, diffuse Ansammlung von Plastikmüll, ein riesiger Teppich aus Abermilliarden Fragmenten, dominiert von unsichtbarem Mikroplastik und tonnenschweren Geisternetzen. Diese "Plastiksuppe", die sich über eine Fläche erstreckt, die Deutschland mehrfach verschlucken könnte, ist heimtückischer als jede Insel, weil sie das Leben im Meer von innen heraus zersetzt. Wir haben gesehen, dass die Schätzungen zur Größe (1,6 Millionen Quadratkilometer allein für den GPGP!) und Menge (Billionen von Teilen!) einem den Atem rauben. Die Illusion ist geplatzt, die Realität ist ein Schlag in die Magengrube. Aber keine Sorge, wir sind erst am Anfang unserer Tauchfahrt ins Desaster. Im nächsten Teil schauen wir uns an, wie dieser ganze Dreck überhaupt erst auf seine tödliche Kreuzfahrt geschickt wird. Bleib dran, es wird nicht appetitlicher!


Bis dahin: Halte die Augen offen, hinterfrage deinen eigenen Plastikverbrauch und erzähl weiter, was Sache ist. Der Krawall gegen die Ignoranz hat gerade erst begonnen.


Deine Möwen-Crew.



Hier geht's zu den anderen Teilen:



Quellen:

  • The Ocean Cleanup, Nature Scientific Reports, 2018

  •  Eigene Schätzung basierend auf The Ocean Cleanup Daten zur Stückzahl vs. Masse



Klartext braucht eine starke Crew.

The Ocean Tribune ist zu 100% unabhängig, werbefrei und für alle frei zugänglich. Wir lassen uns von keiner Lobby kaufen, weil wir nur einer Sache verpflichtet sind: dem Ozean.

Das ist nur möglich, weil eine Crew von unerschrockenen Unterstützern hinter uns steht, die diesen Kurs finanziert. Wenn du unsere Arbeit wertvoll findest, dann werde jetzt Teil dieser Bewegung. Jeder Beitrag ist Treibstoff für unsere Mission und sorgt dafür, dass wir weiter die unbequemen Wahrheiten aussprechen können.






Aus der Werkstatt: Vom Problem zur Lösung

Aufklärung ist der erste Schritt. Die Umsetzung der zweite. Wir bei Vita Loom Labs entwickeln die professionellen Werkzeuge und strategischen Prozesse, die Impact-Organisationen dabei helfen, ihre Missionen wirkungsvoller zu machen.

Sie wollen sehen, wie unser strategischer Prozess in der Praxis aussieht? Unsere 'Blueprint Case Study' demonstriert Schritt für Schritt, wie wir aus einer guten Idee einen unwiderstehlichen, förderfähigen Antrag schmieden.




The Ocean Tribune

Wir wissen, was die Ozeane zu sagen haben!

bottom of page