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Deep Dive Serie: Der Vaquita – Ein letzter Funke Hoffnung für das seltenste Meeressäugetier der Welt? (Teil 3)

  • Patricia Plunder
  • 30. Juni
  • 8 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 6. Aug.

Vaquita

Von Patricia Plunder


Ahoi, du unerschrockene Seele und treuer Leser der Ocean Tribune! Willkommen zurück zum dritten Teil unseres herzzerreißenden, aber leider notwendigen Deep Dives über den Vaquita. Nachdem wir in Teil 1 das "Phantom der Cortes-See" kennengelernt und in Teil 2 die tödliche Verstrickung mit der illegalen Totoaba-Fischerei und ihren Kiemennetzen aufgedeckt haben, könnte man meinen, die Geschichte sei eigentlich schon zu Ende erzählt. Ein kleines, scheues Tier, gefangen im Netz globaler Gier und lokaler Not – was soll da noch kommen außer dem traurigen Abgesang?



Aber halt! So schnell geben wir (und zum Glück auch einige sehr engagierte Menschen da draußen) nicht auf. Denn die Geschichte des Vaquitas ist auch eine Geschichte verzweifelter Rettungsversuche, wissenschaftlicher Detektivarbeit und eines oft genug frustrierenden Kampfes gegen Windmühlen. Es ist eine Geschichte, die zeigt, wie weit Menschen gehen, um eine Art zu retten – und manchmal auch, wie sie dabei scheitern oder aus Fehlern lernen müssen.


Also, zieh die Rettungsweste noch einmal fest und halte dich am Mast fest, denn wir stechen in See für:


Teil 3: Rettungsversuche auf Biegen und Brechen – Von Notfallplänen bis zur Akustik-Überwachung


Stell dir vor, du bist Arzt in der Notaufnahme und ein Patient wird eingeliefert, der quasi schon mit einem Bein im Jenseits steht. Die Vitalfunktionen sind im Keller, die Prognose ist katastrophal. Was tust du? Aufgeben? Oder versuchst du alles, wirklich alles, was in deiner Macht steht, um dieses eine Leben noch zu retten, auch wenn die Chancen verschwindend gering sind? Genau vor dieser Frage standen und stehen Wissenschaftler, Naturschützer und Regierungsbeamte im Fall des Vaquitas seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten.


Die Bemühungen, den Vaquita zu retten, sind ein Lehrstück in Sachen "Krisenmanagement im Artenschutz" – mit allen Höhen, Tiefen und schmerzhaften Lektionen, die dazugehören.


Die ersten Alarmsignale und zögerliche Reaktionen


Wir erinnern uns: In den 1980ern und frühen 1990ern wurden die ersten Vaquitas als Beifang gemeldet. Die wissenschaftliche Gemeinschaft wurde langsam hellhörig. Es gründete sich das "Internationale Komitee zur Rettung des Vaquitas" (CIRVA – Comité Internacional para la Recuperación de la Vaquita), ein Zusammenschluss von Experten aus aller Welt, der die mexikanische Regierung beraten sollte.


Die ersten Empfehlungen von CIRVA waren eigentlich logisch und naheliegend:


  • Reduziert den Fischereiaufwand in den Gebieten, in denen Vaquitas leben!

  • Verbietet die Kiemennetze, die so gefährlich für sie sind!

  • Sucht nach alternativen, Vaquita-sicheren Fangmethoden für die lokalen Fischer!


Klingt einfach, oder? War es aber nicht. Die Umsetzung dieser Maßnahmen stieß von Anfang an auf massive Widerstände. Die Fischerei-Lobby wehrte sich, die lokalen Fischer fürchteten um ihre Existenz, und die Durchsetzung von Verboten in dem riesigen und unübersichtlichen Golf von Kalifornien war eine Herkulesaufgabe. Es gab zwar erste Schutzgebiete und Regulierungen, aber sie waren oft halbherzig, schlecht überwacht oder wurden schlicht ignoriert. Der Vaquita starb weiter, langsam aber sicher.



Der große Knall: Das Kiemennetzverbot (und seine Tücken)


Als die Vaquita-Zahlen immer dramatischer sanken und der internationale Druck wuchs, griff die mexikanische Regierung schließlich zu drastischeren Maßnahmen. Im Jahr 2015 wurde ein zweijähriges temporäres Verbot für die meisten Kiemennetze im Hauptverbreitungsgebiet des Vaquitas erlassen. Dieses Verbot wurde später verlängert und ausgeweitet.


Das war auf dem Papier ein riesiger Schritt und eigentlich die wichtigste Maßnahme, um den Vaquita vor dem direkten Ertrinken zu bewahren.

Fischer, die ihre Kiemennetze abgaben, sollten finanzielle Ausgleichszahlungen erhalten.


Aber die Realität sah oft anders aus:


  • Illegale Fischerei ging weiter: Trotz des Verbots und trotz erhöhter Patrouillen durch die mexikanische Marine und Umweltorganisationen wie Sea Shepherd (die mit ihren Schiffen vor Ort sind, um illegale Netze aufzuspüren und zu entfernen) ging die illegale Totoaba-Fischerei weiter. Die Kartelle sind findig, gut ausgerüstet und oft einen Schritt voraus. Sie operieren nachts, nutzen schnelle Boote und scheuen auch nicht vor Gewalt zurück.

  • Kompensationszahlungen mit Problemen: Das Kompensationsprogramm für die Fischer war gut gemeint, aber oft bürokratisch, verspätet oder erreichte nicht alle Betroffenen. Manche Fischer fühlten sich im Stich gelassen oder sahen im illegalen Fang immer noch die lukrativere Option.

  • Mangelnde Alternativen: Die Entwicklung und Einführung wirklich praktikabler und wirtschaftlich tragfähiger alternativer Fangmethoden, die sowohl den Fischern ein Auskommen sichern als auch für den Vaquita sicher sind, gestaltete sich extrem schwierig und langwierig. Leichte Schleppnetze für Garnelen zeigten zwar Potenzial, aber die Umstellung eines ganzen Fischereisektors ist kein Kinderspiel.


Das Kiemennetzverbot war also ein notwendiger, aber bei weitem nicht ausreichender Schritt.


Es zeigte auf schmerzhafte Weise, dass ein Verbot allein nichts nützt, wenn die sozioökonomischen Ursachen nicht angegangen und die Durchsetzung nicht lückenlos gewährleistet werden kann.


Plan B (oder C oder D?): Das Vaquita CPR-Projekt – Die Arche Noah im Golf?


Als die Population des Vaquitas trotz aller Bemühungen auf unter 30 Individuen (Schätzung 2016/2017) zu schrumpfen drohte, griff man zu einem letzten, verzweifelten Strohhalm: dem Vaquita CPR (Conservation, Protection, and Recovery) Projekt. Die Idee war so kühn wie umstritten: Man wollte versuchen, die letzten verbliebenen Vaquitas einzufangen, sie in geschützten Meeresgehegen (sogenannten "Sea Pens") im Golf von Kalifornien unterzubringen und dort ein Zuchtprogramm zu starten. Eine Art "Arche Noah" für den Vaquita, um die Art zumindest in menschlicher Obhut vor dem endgültigen Aussterben zu bewahren, bis die Bedrohung durch Kiemennetze in ihrem natürlichen Lebensraum gebannt wäre.


Ein internationales Team von Top-Experten wurde zusammengetrommelt, darunter Tierärzte, Biologen und sogar speziell trainierte Delfine der US Navy, die helfen sollten, die scheuen Vaquitas aufzuspüren. Millionen von Dollar wurden in das Projekt investiert. Die Hoffnungen waren riesig, die Erwartungen gedämpft.


Im Herbst 2017 startete die Fangaktion. Und sie endete in einer Tragödie.


  • Es gelang, zwei weibliche Vaquitas zu fangen.

  • Das erste Tier, ein jüngeres Weibchen, zeigte nach dem Fang so starken Stress, dass es sofort wieder freigelassen werden musste.

  • Das zweite Tier, ein erwachsenes Weibchen, das nicht trächtig oder laktierend war (was man vorher nicht wissen konnte), starb nur wenige Stunden nach dem Fang, obwohl es von den besten Veterinären der Welt betreut wurde. Die Todesursache war vermutlich der extreme Stress, den der Fang und die Handhabung bei diesem ohnehin schon so sensiblen und seltenen Tier ausgelöst hatten.


Der Tod dieses einen Vaquitas war ein Schock und führte zum sofortigen Abbruch des Vaquita CPR-Projekts.

Es war eine herzzerreißende Erkenntnis: Diese Tiere sind so scheu und so anfällig für Stress, dass selbst der gut gemeinte Versuch, sie zu retten, tödlich enden kann. Die Idee, eine Reservepopulation in menschlicher Obhut aufzubauen, war damit vom Tisch. Es war eine bittere Pille und ein Beweis dafür, dass manche Arten sich einfach nicht für solche "Last-Minute-Rettungsaktionen" eignen. Die Rettung musste, wenn überhaupt, in situ, also in ihrem natürlichen Lebensraum, stattfinden.



Die Ohren im Wasser: Akustisches Monitoring als letzter Spion


Nach dem Scheitern von Vaquita CPR und angesichts der immer kleiner werdenden Zahlen brauchte man dringend eine Methode, um überhaupt noch herauszufinden, ob und wo es noch Vaquitas gibt, ohne sie direkt stören zu müssen. Die Lösung: akustisches Monitoring.


Vaquitas nutzen, wie andere Schweinswale auch, hochfrequente Klicklaute zur Echolokation – also um sich zu orientieren und Nahrung zu finden. Diese Klicks sind für das menschliche Ohr nicht hörbar, aber mit speziellen Unterwassermikrofonen (Hydrophonen) können sie aufgezeichnet werden. Wissenschaftler haben ein Netzwerk von verankerten akustischen Detektoren im Vaquita-Lebensraum ausgebracht, die kontinuierlich nach diesen charakteristischen Klicks lauschen.


Dieses akustische Monitoring liefert zwar keine exakten Zahlen, wie viele Individuen es noch gibt (man kann nicht sicher sagen, ob mehrere Klicks von einem oder mehreren Tieren stammen), aber es gibt wichtige Hinweise darauf:


  • Wo halten sich die Vaquitas noch auf? So können Schutzmaßnahmen und Patrouillen gezielter eingesetzt werden.

  • Gibt es einen Trend? Nimmt die Anzahl der Klicks ab oder zu? Das kann ein Indikator für den Populationsverlauf sein.

  • Wo ist die illegale Fischerei am aktivsten? Die Detektoren zeichnen oft auch die Geräusche von Fischerbooten auf.


Das akustische Monitoring ist momentan eine der wichtigsten, wenn nicht die wichtigste Methode, um überhaupt noch ein Lebenszeichen von den letzten Vaquitas zu bekommen und ihre ungefähre Verteilung zu verstehen.

Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit, denn mit jedem verstummenden Klick schwindet die Hoffnung.



Alternative Fangmethoden: Der Hoffnungsschimmer, der nicht zünden will?


Parallel zu all diesen Notfallmaßnahmen wurde und wird immer wieder versucht, Vaquita-sichere alternative Fanggeräte für die lokalen Fischer zu entwickeln und zu etablieren. Denn eines ist klar: Solange die Fischer keine legale und wirtschaftlich tragfähige Alternative zur Kiemennetzfischerei haben, wird der Anreiz für illegale Aktivitäten bleiben.


Es gab vielversprechende Ansätze, zum Beispiel mit kleinen Schleppnetzen ("Roshira-Netze"), die speziell für den Garnelenfang entwickelt wurden und so konstruiert sind, dass Vaquitas ihnen entkommen können oder gar nicht erst hineingeraten. Auch Haken und Leinen oder Fischfallen wurden getestet.


Die Herausforderungen sind jedoch enorm:


  • Akzeptanz bei den Fischern: Neue Methoden erfordern oft eine Umstellung, Schulung und manchmal auch geringere Fangerträge zumindest am Anfang. Die Fischer müssen davon überzeugt werden, dass es funktioniert und sich lohnt.

  • Wirtschaftlichkeit: Die alternativen Methoden müssen konkurrenzfähig sein. Wenn der Fang mit der neuen Methode deutlich geringer ist oder die Kosten höher sind, ist die Motivation gering.

  • Skalierbarkeit: Es reicht nicht, wenn ein paar Boote umstellen. Die Methode muss für die gesamte Flotte praktikabel sein.


Die Entwicklung und breite Einführung wirklich funktionierender und akzeptierter alternativer Fangmethoden ist ein zähes Ringen und einer der Schlüssel zur langfristigen Lösung – falls es dafür nicht schon zu spät ist.


Die Rolle von NGOs und internationaler Zusammenarbeit


Man darf nicht vergessen, dass viele dieser Rettungsversuche ohne das unermüdliche Engagement von nationalen und internationalen Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und die internationale wissenschaftliche Zusammenarbeit gar nicht möglich gewesen wären. Organisationen wie Sea Shepherd spielen eine aktive Rolle bei der Entfernung illegaler "Geisternetze", WWF, Greenpeace, OceanCare und viele andere leisten wichtige Lobbyarbeit, finanzieren Forschung und unterstützen Projekte vor Ort. Wissenschaftler aus aller Welt bringen ihr Fachwissen ein.


Diese Zusammenarbeit ist oft das, was den Motor am Laufen hält, auch wenn die Rückschläge zahlreich sind.



Fazit für Teil 3: Ein Marathon der Verzweiflung und des Durchhaltens


Puh, was für ein Ritt! Wir haben gesehen, dass der Kampf um den Vaquita eine Achterbahnfahrt der Emotionen und Anstrengungen ist. Von wissenschaftlichen Komitees über drastische Fischereiverbote bis hin zu einem gescheiterten "Arche Noah"-Projekt und dem Lauschangriff per Hydrophon – es wurde und wird viel versucht.


Die Geschichte der Rettungsversuche für den Vaquita ist geprägt von Momenten der Hoffnung, herben Rückschlägen und der schmerzhaften Erkenntnis, dass Artenschutz in einem so komplexen Umfeld verdammt schwierig ist.

Es gibt keine einfachen Lösungen, keine schnellen Erfolge. Es ist ein Marathonlauf, bei dem man oft das Gefühl hat, rückwärts zu laufen.


Aber was lernen wir daraus? Und gibt es, bei all der Düsternis, wirklich noch diesen einen, letzten Funken Hoffnung? Mit diesen Fragen werden wir uns im vierten und letzten Teil unserer Serie beschäftigen: "Teil 4: Die letzten zehn Kälber? Lehren aus dem Vaquita-Drama und ein Plädoyer für das Unmögliche".


Sei dabei, wenn wir versuchen, Bilanz zu ziehen und zu fragen, was die Welt aus dem Vaquita-Desaster lernen kann – und ob es vielleicht doch noch nicht zu spät ist, das Ruder herumzureißen.


Bis dahin: Bleib stark und vergiss nicht, dass jede noch so kleine Anstrengung zählt!


Deine Möwen-Crew



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