Deep Dive Serie: Der Vaquita – Ein letzter Funke Hoffnung für das seltenste Meeressäugetier der Welt? (Teil 2)
- Patricia Plunder
- 1. Juli
- 7 Min. Lesezeit
Aktualisiert: vor 5 Tagen

Von Patricia Plunder
Ahoi, du hartgesottener Meeresfreund und willkommen zurück an Bord der Ocean Tribune für den zweiten Akt unseres Vaquita-Dramas! In Teil 1 haben wir das Phantom der Cortes-See kennengelernt – den Vaquita, diesen winzigen, scheuen Schweinswal, der so selten ist, dass er fast schon ein Mythos sein könnte, wenn seine Existenz nicht so grausam real wäre. Wir wissen jetzt, wer er ist, wo er (kaum noch) lebt und wie dramatisch seine Population in den letzten Jahrzehnten eingebrochen ist.
Heute, mein Lieber, müssen wir leider noch tiefer in den Abgrund blicken. Wir müssen uns der Frage stellen: Warum? Warum stirbt dieses einzigartige Wesen aus? Und die Antwort ist so simpel wie brutal: Er wird ermordet. Nicht absichtlich, nicht aus Bosheit, sondern als ungewollter Kollateralschaden einer Gier, die keine Grenzen kennt.
Also, hol tief Luft, zieh die Schwimmwesten enger und halte dich fest, denn wir tauchen jetzt ein in die trüben Gewässer von ...
Teil 2: Gefangen im Netz der Gier – Die tödliche Bedrohung durch die Totoaba-Fischerei
Stell dir vor, du bist ein Vaquita. Du bist klein, du bist unauffällig, du willst eigentlich nur deine Ruhe haben und ein paar Fische und Tintenfische jagen, um über die Runden zu kommen. Du schwimmst durch dein kleines, vertrautes Reich im nördlichen Golf von Kalifornien. Plötzlich – eine unsichtbare Wand. Du versuchst auszuweichen, aber es ist zu spät. Die feinen Maschen eines Netzes umschließen dich, ziehen sich immer enger zusammen. Panik. Du kämpfst, du zerrst, aber du bist gefangen. Als lungenatmendes Säugetier musst du an die Oberfläche, um Luft zu holen. Aber das Netz hält dich unten. Es ist ein langsamer, qualvoller Erstickungstod. Und das alles nur, weil jemand ganz anderes im Visier der Fischer stand.
Dies, mein Freund, ist das tragische Schicksal fast jedes Vaquitas, der in den letzten Jahren gestorben ist: Ertrunken als Beifang in Kiemennetzen.
Der "Partner in Crime" (unfreiwillig): Der Totoaba-Fisch
Um das ganze Drama zu verstehen, müssen wir einen weiteren Hauptdarsteller auf die Bühne bitten, einen Fisch, der selbst eine tragische Figur in diesem Stück ist: der Totoaba (Totoaba macdonaldi).
Der Totoaba ist ein riesiger Umberfisch, der ebenfalls endemisch im Golf von Kalifornien lebt – also auch nur dort vorkommt. Er kann über zwei Meter lang und bis zu 100 Kilogramm schwer werden. Ein echter Brocken! Früher war er ein wichtiger Speisefisch für die lokale Bevölkerung und auch für den Export. Doch der Totoaba hat ein ganz besonderes "Schmuckstück" in seinem Inneren, das ihm zum Verhängnis wurde und den Vaquita gleich mit in den Abgrund reißt: seine Schwimmblase.
Diese Schwimmblase, auf Spanisch "buche" genannt, ist in China und anderen asiatischen Ländern, insbesondere in Hongkong, ein hochbegehrtes Luxusgut. Sie gilt dort als Delikatesse, als Statussymbol und vor allem als traditionelles Heilmittel mit angeblich wundersamen Kräften – von Potenzsteigerung bis zur Behandlung von Gelenkschmerzen und Fruchtbarkeitsproblemen ist alles dabei. Wissenschaftliche Beweise für diese Wirkungen? Fehlanzeige, natürlich. Aber der Glaube versetzt bekanntlich Berge (oder leert die Meere).
Auf dem Schwarzmarkt kann eine einzige getrocknete Totoaba-Schwimmblase Zehntausende, manchmal sogar Hunderttausende von US-Dollar einbringen.
Ja, du hast richtig gelesen. Wir sprechen hier von Preisen, die mit denen von Kokain oder Gold vergleichbar sind. Deshalb wird die Totoaba-Schwimmblase oft als "Kokain der Meere" bezeichnet. Und wo so viel Geld im Spiel ist, da sind Skrupel und Gesetze schnell vergessen.
Das tödliche Duo: Kiemennetze und kriminelle Kartelle
Der Totoaba selbst ist, genau wie der Vaquita, eine stark gefährdete und streng geschützte Art. Sein Fang ist seit 1975 international verboten (CITES Anhang I). Aber wen kümmern schon Verbote, wenn die Nachfrage so riesig und die Profite so exorbitant sind?
Um die begehrten Totoabas zu fangen, setzen illegale Fischer großflächig Kiemennetze ein. Das sind lange, oft kilometerlange Netzwände, die senkrecht im Wasser stehen. Fische einer bestimmten Größe schwimmen mit dem Kopf voran in die Maschen, können aber nicht mehr zurück, weil sich ihre Kiemendeckel oder Flossen verhaken. Für die Totoaba-Fischer sind diese Netze effektiv. Für alles andere, was zur falschen Zeit am falschen Ort ist, sind sie eine Todesfalle.
Und hier kommt der Vaquita ins Spiel.
Vaquitas haben ungefähr die gleiche Größe wie die jungen Totoabas, die oft Ziel der Fischer sind. Die Maschenweite der illegalen Totoaba-Netze ist also perfekt unperfekt, um auch Vaquitas zu fangen.
Sie sehen die feinen Nylonfäden in den trüben Küstengewässern oft nicht, schwimmen ahnungslos hinein und teilen das Schicksal der Totoabas – mit dem Unterschied, dass der Vaquita nicht einmal das eigentliche Ziel war. Er ist der Inbegriff des tragischen Beifangs.
Dieser illegale Fischfang ist kein kleines Vergehen von ein paar armen Fischern, die um ihr Überleben kämpfen (obwohl das auch eine Rolle spielt, dazu gleich mehr). Dahinter steckt mittlerweile die organisierte Kriminalität. Mexikanische Drogenkartelle haben den lukrativen Handel mit Totoaba-Schwimmblasen längst für sich entdeckt und kontrollieren große Teile des Geschäfts. Sie schmuggeln die "buches" über die US-Grenze oder direkt nach Asien. Sie sind bewaffnet, rücksichtslos und haben ein Netzwerk, das es den Behörden extrem schwer macht, effektiv dagegen vorzugehen. Wir reden hier von einer milliardenschweren Industrie.
Die Verflechtung mit lokalen Problemen: Armut, Korruption und mangelnde Alternativen
Es wäre zu einfach, die Schuld nur bei den skrupellosen Kartellen oder der Nachfrage in Asien zu suchen. Die Situation im nördlichen Golf von Kalifornien ist ein komplexes Knäuel aus ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Problemen.
Viele der Fischer in den kleinen Küstendörfern wie San Felipe oder El Golfo de Santa Clara leben seit Generationen vom Meer. Traditionelle Fischereimethoden waren lange Zeit nachhaltig. Doch Überfischung, Umweltveränderungen (z.B. durch den reduzierten Süßwasserzufluss des Colorado Rivers) und strenge Regulierungen zum Schutz anderer Arten (wie Garnelen) haben die Einkommensmöglichkeiten vieler Fischer stark eingeschränkt.
Armut und Perspektivlosigkeit sind weit verbreitet. Und genau hier setzt die Verlockung des schnellen Geldes durch den illegalen Totoaba-Fang an.
Wenn dir jemand für eine Nacht Arbeit auf See mehr Geld anbietet, als du sonst in einem ganzen Jahr verdienen kannst, ist die Versuchung groß, auch wenn du weißt, dass es illegal ist und die Umwelt schädigt. Viele Fischer sehen sich in einer Zwickmühle: Entweder sie halten sich an die Gesetze und ihre Familien hungern, oder sie riskieren alles für den illegalen Fang.
Dazu kommt das Problem der Korruption. Wo viel Geld im Spiel ist, sind auch Beamte, Polizisten oder sogar Militärangehörige manchmal käuflich. Beschlagnahmte Netze verschwinden, illegale Fänge werden durchgewunken, und die Drahtzieher bleiben oft unbehelligt.
Die mexikanische Regierung hat in den letzten Jahren immer wieder versucht, mit Verboten und Ausgleichszahlungen für die Fischer gegenzusteuern. Kiemennetze wurden in weiten Teilen des Vaquita-Lebensraums verboten, es gab Programme zur Entwicklung alternativer, Vaquita-sicherer Fangmethoden und finanzielle Kompensationen für Fischer, die auf den Einsatz von Kiemennetzen verzichten. Doch die Umsetzung und Kontrolle dieser Maßnahmen ist extrem schwierig und lückenhaft.
Die schiere Weite des Golfs, die Macht der Kartelle und die Verzweiflung der lokalen Bevölkerung machen es zu einem Kampf David gegen Goliath.
Ein Teufelskreis ohne Ende?
Das Ergebnis ist ein Teufelskreis:
Die hohe Nachfrage nach Totoaba-Schwimmblasen in Asien treibt die Preise in astronomische Höhen.
Organisierte Kriminelle und verzweifelte lokale Fischer setzen illegale Kiemennetze ein, um Totoabas zu fangen.
Vaquitas verenden als Beifang in diesen Netzen.
Die Vaquita-Population bricht immer weiter zusammen.
Je seltener der Vaquita wird, desto schwieriger wird es, die letzten Individuen zu schützen, und desto größer ist der Druck, die illegale Fischerei endlich zu stoppen.
Solange aber die Nachfrage und die Armut vor Ort bestehen und die Durchsetzung der Gesetze mangelhaft ist, geht der illegale Fischfang weiter.
Es ist zum Haareraufen! Man hat das Gefühl, gegen Windmühlen zu kämpfen. Jedes Verbot, jede neue Schutzmaßnahme scheint von der Realität vor Ort und der Macht des Schwarzmarktes unterlaufen zu werden.
Die Rolle der internationalen Gemeinschaft
Man könnte jetzt sagen: "Das ist doch ein Problem Mexikos, was geht uns das an?" Aber so einfach ist es nicht. Der Handel mit Totoaba-Schwimmblasen ist international. Die Hauptabnehmer sitzen in China und anderen asiatischen Ländern. Die Schmuggelrouten führen oft über die USA.
Es braucht also einen konzertierten internationalen Ansatz, um dieses Problem anzugehen.
Dazu gehören:
Druck auf die Abnehmerländer: Die Nachfrage muss reduziert werden. Aufklärungskampagnen, strengere Kontrollen und höhere Strafen für den Handel und Konsum von Totoaba-Produkten in den Zielländern sind unerlässlich.
Unterstützung für Mexiko: Mexiko braucht internationale Hilfe bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität, bei der Überwachung des riesigen Seegebiets und bei der Entwicklung nachhaltiger Alternativen für die lokalen Fischergemeinden. Das ist nicht nur eine Frage des Geldes, sondern auch von Technologie und Know-how.
Sensibilisierung der Öffentlichkeit: Wir alle müssen verstehen, dass unser Konsumverhalten und unsere Gleichgültigkeit gegenüber dem illegalen Wildtierhandel direkte Auswirkungen auf Arten wie den Vaquita haben können. Auch wenn wir keine Totoaba-Schwimmblasen kaufen, so sind wir doch Teil eines globalen Systems.
Fazit für Teil 2: Ein Netz aus Gier, Verzweiflung und tödlichem Beifang
Puh, das war jetzt wirklich kein Zuckerschlecken. Wir haben gesehen, dass der Vaquita nicht an einer mysteriösen Krankheit stirbt oder von einem natürlichen Feind ausgerottet wird.
Er stirbt, weil er zur falschen Zeit am falschen Ort ist, gefangen in den Netzen einer Fischerei, die von globaler Gier und lokaler Not befeuert wird.
Die Totoaba-Schwimmblase, ein nutzloses Stück getrocknetes Gewebe, ist das Todesurteil für das seltenste Meeressäugetier der Welt.
Es ist eine Geschichte, die wütend macht, traurig macht und einen manchmal verzweifeln lässt. Aber wir dürfen nicht vergessen: Hinter all den Zahlen und Fakten stehen echte Tiere, echte Menschen und echte Schicksale.
Im nächsten Teil unserer Serie, "Teil 3: Rettungsversuche auf Biegen und Brechen – Von Notfallplänen bis zur Akustik-Überwachung", werden wir uns ansehen, was trotz allem unternommen wurde und wird, um den Vaquita zu retten. Es wird eine Geschichte von verzweifelten Versuchen, von Rückschlägen, aber auch von unermüdlichem Engagement und wissenschaftlicher Innovation. Vielleicht finden wir ja doch noch diesen einen, winzigen Funken Hoffnung, von dem der Titel unserer Serie spricht.
Bleib dran, bleib kritisch und vor allem: Lass uns gemeinsam Krawall machen gegen diese tödliche Ignoranz!
Deine Möwen-Crew
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