Die Krillöl-Lüge: Warum du den Walen das Futter aus dem Maul klaust.
- Gary Gullson
- 10. Sept.
- 7 Min. Lesezeit

Von Gary Gullson
Ahoi, Landratte!
Gary Gullson hier, von der „Möwen-Crew“ des Ocean Tribune. Setz dich, nimm dir ‘nen Kaffee – oder was Stärkeres, du wirst es brauchen. Ich muss dir was beichten. Ich war neulich undercover in einem dieser … Gesundheitstempel. Du weißt schon, diese Läden, die nach überteuertem Weihrauch und Selbstoptimierung riechen. Zwischen all den Pülverchen und Wässerchen, die dir ewige Jugend und einen Arsch aus Stahl versprechen, stand es: Ein Regal, prall gefüllt mit kleinen, roten Kapseln. „Krillöl“ stand drauf. „Rein. Kraftvoll. Nachhaltig.“
Ich musste fast meinen Hering wiedersehen. Nachhaltig? Das ist, als würde man einem Löwen das Fleisch vor den Augen wegfuttern und dann so tun, als würde man ihm bei der 'Diät' helfen. Wir reden hier nicht über irgendein Plankton. Wir reden über Krill. Das verdammte Fundament des antarktischen Lebens, abgefüllt in Gelatinekapseln für gestresste Menschen, die glauben, sie könnten sich Gesundheit kaufen, während sie dem Planeten die Lebensgrundlage entziehen.
Deshalb frage ich dich, und ich will eine ehrliche Antwort:
Musst du wirklich das Herz der Antarktis schlucken, um deine Gelenke zu schmieren?
Klartext: Was zum Teufel ist dieses Krill-Zeug eigentlich?
Hör zu, damit wir auf demselben Kurs sind. Wenn wir von „Krill“ sprechen, meinen wir meistens den Antarktischen Krill, Euphausia superba. Ein kleines, garnelenartiges Krebstierchen, das maximal sechs Zentimeter groß und bis zu zwei Gramm schwer wird. Ein Winzling. Aber jetzt halt dich fest: Die gesamte Biomasse dieses Winzlings wird auf hunderte Millionen Tonnen geschätzt – mehr als das Gesamtgewicht aller Menschen auf diesem Planeten. Sie leben im Südlichen Ozean, in den eiskalten Gewässern rund um die Antarktis, und bilden dort Schwärme von unvorstellbarer Dichte. Wir reden von 10.000 bis 30.000 Individuen pro Kubikmeter Wasser. Das Meer färbt sich rot von diesen Viechern.
Ein einzelnes Weibchen kann während der Laichzeit zwischen Januar und März mehrere Bruten haben und dabei bis zu 10.000 Eier auf einmal legen. Diese Eier sinken in die Tiefsee ab, und die geschlüpften Larven steigen langsam wieder zur Oberfläche auf, ein genialer Kreislauf des Lebens.

Das All-you-can-eat-Buffet am Ende der Welt
Jetzt kommt der entscheidende Punkt. Dieser kleine Krebs ist keine unbedeutende Randnotiz im Drehbuch des Ozeans. Er ist die verdammte Hauptrolle. Der Krill ist eine sogenannte Schlüsselart. Das bedeutet: Nimm ihn weg, und das gesamte Ökosystem bricht zusammen wie ein Kartenhaus im Sturm.
Krill ernährt sich von Phytoplankton – mikroskopisch kleinen Algen, die durch Photosynthese die Energie der Sonne einfangen. Damit steht der Krill am Anfang einer extrem kurzen und deshalb extrem wichtigen Nahrungskette. So gut wie alles, was in der Antarktis Rang und Namen hat, frisst Krill. Wir reden von:
Bartenwalen: Blau-, Finn-, Buckel- und Zwergwale schaufeln jährlich Millionen Tonnen Krill in sich hinein. Der norwegische Name „Krill“ bedeutet übersetzt „Walsuppe“, weil man in den Mägen der Giganten Unmengen davon fand.
Robben: Vor allem die Krabbenfresserrobbe hat sich so sehr auf Krill spezialisiert, dass 98 % ihrer Nahrung daraus bestehen. Ihr Gebiss ist wie ein Sieb geformt, um die Krebschen aus dem Wasser zu filtern.
Pinguine: Adélie- und Eselspinguine sind für die Aufzucht ihrer Jungen existenziell auf reiche Krillgründe angewiesen.
Fische und Seevögel: Unzählige Arten, vom Albatros bis zum antarktischen Silberfisch, hängen direkt vom Krill ab.
Zusammengerechnet verputzen die Bewohner der Antarktis jedes Jahr über 150 Millionen Tonnen Krill. Sie sind das schlagende Herz, die zentrale Energieverteilstation des Südpolarmeers.
Die blutige Lieferkette deiner Gesundheitspille
Und was machen wir Menschen? Wir schicken riesige Fabrikschiffe in diese unberührte Wildnis, um genau dieses Herz aus dem Ozean zu reißen. Die Krillfischerei ist ein hochtechnologisches, brutales Geschäft. Moderne Trawler nutzen eine Methode, die sich „kontinuierliches Pumpen“ nennt. Ein riesiges Schleppnetz bleibt permanent im Wasser, während ein Schlauch den Fang nonstop an Bord pumpt. Das ist effizient und tödlich.
An Bord wird der Krill sofort verarbeitet, denn seine Enzyme würden ihn sonst schnell zersetzen. Ein Teil wird zu Fischfutter für Aquakulturen vermahlen, der andere Teil wird zu diesem ominösen Krillöl extrahiert. Dieses Öl ist reich an Omega-3-Fettsäuren (EPA und DHA), die an sogenannte Phospholipide gebunden sind. Die Industrie behauptet, der Körper könne sie dadurch besser aufnehmen als die Fette aus normalem Fischöl. Das Öl enthält zudem Astaxanthin, ein Antioxidans, das ihm die rote Farbe gibt.
Klingt gut, oder? Ein sauberes Produkt aus den „unberührten Gewässern der Antarktis“. Das ist die Marketing-Lüge, die sie dir verkaufen. Die Wahrheit ist ein ökologischer Albtraum.
Der Kollateralschaden in der Pillendose
Jedes Mal, wenn du eine Krillölkapsel schluckst, unterschreibst du für folgende Verbrechen:
Du stiehlst den Walen das Futter: Die Fischerei konzentriert sich genau dort, wo die Krillschwärme am dichtesten sind – und das sind exakt die Futtergründe der Wale, Robben und Pinguine. Die Schiffe orientieren sich sogar an den Walen, um die besten Fanggründe zu finden. Das ist kein nachhaltiger Fang, das ist ein direkter Angriff auf die Nahrungsgrundlage der gesamten antarktischen Tierwelt. Schon jetzt gibt es Hinweise, dass Pinguinpopulationen schrumpfen, weil ihre Speisekammer geplündert wird.
Du heizt den Klimawandel an: Diese riesigen Trawler verbrennen Unmengen an Schweröl und haben einen gewaltigen CO2-Fußabdruck. Aber es kommt noch schlimmer: Krill spielt eine entscheidende Rolle im Kohlenstoffkreislauf des Planeten. Er frisst kohlenstoffhaltige Algen an der Oberfläche und scheidet den Kohlenstoff in Form von Kot in der Tiefsee wieder aus. Damit wirkt Krill als „biologische Pumpe“, die Treibhausgase aus der Atmosphäre entfernt und am Meeresboden einlagert. Forscher schätzen, dass der Krill im Südpolarmeer jährlich 23 Millionen Tonnen Kohlenstoff bindet – das entspricht dem Ausstoß von 35 Millionen Autos.
Jeder gefangene Krillschwarm ist ein Schlag ins Gesicht des Klimaschutzes.
Du ignorierst die größte Bedrohung: Die Krillbestände sind bereits massiv unter Druck. Nicht nur durch die Fischerei, sondern vor allem durch den Klimawandel. Das Meereis, an dessen Unterseite die Krilllarven im Winter überleben, schmilzt in alarmierender Geschwindigkeit. Seit den 1970er Jahren ist die Krillpopulation in einigen Gebieten bereits um bis zu 80 % zurückgegangen. Und wir fischen weiter, als gäbe es kein Morgen.
Wer sind die Krill-Barone?
Die Fischerei wird von einer Handvoll Nationen dominiert. An der Spitze der Gier-Skala stehen:
Norwegen
China
Südkorea
Chile
Ukraine
Russland (historisch, aktuell weniger aktiv, aber mit neuen Schiffen im Kommen)
(Die genauen Ranglisten basieren auf den Daten der CCAMLR, der Kommission zur Erhaltung der lebenden Meeresschätze der Antarktis, wobei Norwegen, China und Südkorea in den letzten Jahren die größten Fänge meldeten). China hat sogar das weltgrößte Krillfangschiff in Auftrag gegeben, ein klares Zeichen, dass die Plünderung weitergehen soll.
Offiziell werden jährlich „nur“ einige hunderttausend Tonnen gefischt. Die CCAMLR hat eine Fangquote von 620.000 Tonnen für das Hauptfanggebiet (Area 48) festgelegt, was angeblich nur 1 % der geschätzten Biomasse sei und daher „vorsorglich“ wäre. Aber diese Zahlen sind eine Farce. Sie basieren auf veralteten Bestandsaufnahmen und ignorieren die lokale Konzentration der Fischerei.
Eine Quote ist wertlos, wenn man das gesamte erlaubte Futter von einem einzigen Teller kratzt, während am Rest des Tisches alle verhungern.
Wirtschaftlich ist Krill ein wachsender Markt, der vor allem durch die Nachfrage nach Nahrungsergänzungsmitteln und hochwertigem Futter für die Fischzucht angetrieben wird. Ein Markt, der auf der Zerstörung eines der letzten halbwegs intakten Ökosysteme der Erde basiert.

Die Wende: Es gibt einen besseren Weg, verdammt noch mal!
So, genug geheult. Wut ist gute Energie, aber nur, wenn man sie in die richtige Richtung lenkt. Es ist nicht alles verloren, und die Lösung ist so einfach, dass es fast wehtut.
Hör auf, das Blut des Ozeans zu schlucken – es gibt pflanzliche Kraftwerke
Der Grund, warum du (oder dein Arzt) nach Omega-3-Fettsäuren suchst, sind die langkettigen Fettsäuren EPA und DHA. Die Werbelüge ist, dass du die nur aus marinen Quellen bekommst. Das ist Bullshit. Fische und Krill produzieren diese Fettsäuren nicht selbst. Sie fressen sie. Und zwar in Form von Algen.
Die Lösung lautet: Algenöl.
Mikroalgen wie Schizochytrium sp. sind die ursprüngliche, direkte Quelle von EPA und DHA. Man kann sie umweltfreundlich in geschlossenen Systemen an Land züchten, ohne die Meere zu belasten, ohne Beifang, ohne Schwermetalle und ohne den Walen das Futter zu klauen. Algenöl ist nicht nur eine Alternative, es ist die überlegene Quelle.
Daneben gibt es fantastische pflanzliche Quellen für die kurzkettige Omega-3-Fettsäure ALA, die der Körper teilweise in EPA und DHA umwandeln kann:
Leinöl und Leinsamen: Der unangefochtene König der ALA-Quellen.
Chiasamen: Kleine Kraftpakete voller gesunder Fette.
Walnüsse: Der perfekte Snack für Herz und Hirn.
Hanfsamen und Hanföl: Eine weitere hervorragende Quelle.
Es gibt absolut keinen wissenschaftlichen oder gesundheitlichen Grund, auch nur einen einzigen Krill für Omega-3 zu töten.
Die stille Revolution auf dem Teller
Die gute Nachricht ist: Immer mehr Menschen kapieren das. Der Trend weg von tierischen Produkten ist keine Spinnerei von ein paar Großstadt-Hippies, sondern eine globale Bewegung.
Weltweit wird die Zahl der Vegetarier und Veganer auf rund eine Milliarde geschätzt. Die Entwicklung ist rasant.
Indien ist mit einem Vegetarier-Anteil von bis zu 38% der absolute Spitzenreiter.
In Europa führen Länder wie Deutschland, Großbritannien und Österreich mit Anteilen um die 10%.
Selbst in traditionellen Fleischnationen wie Brasilien und Argentinien gibt es überraschend hohe Vegetarier-Raten von über 10%.
Diese Zahlen zeigen, dass ein Umdenken stattfindet. Eine wachsende Armee von Menschen versteht, dass unsere Konsumentscheidungen eine gewaltige Macht haben.
Der Appell: Deine Gabel ist eine Harpune – nutze sie weise
Wir sind am Ende meiner Predigt angelangt, Kumpel. Die Sache ist glasklar: Krillöl-Kapseln sind der Inbegriff menschlicher Dummheit. Wir plündern das Fundament des artenreichsten und fragilsten Ökosystems der Welt, um uns ein Luxus-Nahrungsergänzungsmittel zu gönnen, das wir nicht brauchen und das wir durch eine bessere, sauberere und ethischere Alternative ersetzen können.
Also, was tust du jetzt?
Stürm dein Badezimmer! Geh sofort zu deinem Medizinschrank. Findest du eine Dose Krillöl? Wirf sie in den Müll. Das ist kein Verlust, das ist eine Befreiung.
Werde zum Aufklärer! Erzähl deiner Familie, deinen Freunden, deinem Fitness-Trainer und der netten Dame im Reformhaus, warum Krillöl eine ökologische Katastrophe ist. Schick ihnen diesen Artikel. Nerv sie, bis sie es verstehen.
Wähle die Alge! Wenn du ein Omega-3-Supplement brauchst, kauf Algenöl-Kapseln. Unterstütze die Unternehmen, die auf eine nachhaltige Zukunft setzen, nicht die, die die Vergangenheit plündern.
Unterstütze die Wächter! Verschiedene Organisationen kämpfen an vorderster Front für die Einrichtung von Meeresschutzgebieten in der Antarktis, die die Krillfischerei verbieten würden. Sie brauchen deine Unterstützung.
Am Ende ist es ganz einfach. Jedes Mal, wenn du einkaufst, triffst du eine Wahl. Du kannst Teil des Problems sein oder Teil der Lösung. Du kannst eine Pille schlucken, die nach Zerstörung schmeckt, oder du kannst dich für das Leben entscheiden.
Hör auf, das Fundament des Ozeans zu fressen. Er ist keine Apotheke.
Dein Gary
Klartext braucht eine starke Crew.
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